Zitat Autor
Wirtschaftskraft ist in der Tat ein „Plus“ – ein Mehr an Themen, an Hintergründen und an Aktualität. Mit dieser Plattform wird die wirtschaftliche Kompetenz des Standortes Pforzheim medial begleitet und weit in die Region getragen.

Oliver Reitz

Direktor des Eigenbetriebs Wirtschaft und Stadtmarketing Pforzheim (WSP)

Newsletter Anmeldung

+ monatliche Erscheinung
+ aktuelle Themen und wichtige Termine
+ neue Unternehmensportraits und Unternehmensprofile
Datenverarbeitungshinweis*

Zwischen Schwarzwald und Kalifornien: Alicia Lindner balanciert zwischen zwei Jobs und zwei Zeitzonen

Im Gespräch mit WirtschaftsKraft sprach Alicia Lindner, geschäftsführende Gesellschafterin und Mitinhaberin des Schwarzwälder Naturkosmetikherstellers Börlind GmbH (Calw), über ihre Erfahrungen in den USA, Taylor Swift, ihre Beziehung zu ihrem Bruder Nicolas Lindner, gesellschaftliche Verantwortung in der heutigen Zeit, Demokratie und warum sie nun auch in die Politik gehen möchte.
"Ich bin dann mal weg": Alicia Lindner im kalifornischen Los Angeles. Von hier aus leitet sie aktuell ihre geschäftlichen Geschicke. Foto: Benjamin Diedering

06.03.2024

von Tanja Meckler

Für insgesamt fünf Monate leitet Alicia Linder ihre Geschäfte von den USA aus. Vor etwa drei Monaten zog sie mit ihrer Familie – ihrem Ehemann und den drei gemeinsamen Kindern – nach Kalifornien. Zum Abschied schenkte ihr die Belegschaft einen Schwarzwälder Bollenhut, der natürlich mit nach Los Angeles kam. Und ja, sie trägt gerade viele Hüte. Sie jongliert zwischen zwei Jobs in verschiedenen Zeitzonen.

WirtschaftsKraft: Welche Learnings haben Sie bisher aus Ihrem Aufenthalt in den USA mit Ihrer Familie gezogen, sowohl persönlich als auch beruflich?

Alicia Lindner: Der amerikanische Markt und die Kultur sind grundsätzlich anders. Wir sprechen die gleiche Sprache, hören die gleiche Musik und tragen die gleiche Kleidung. Und doch gibt es deutliche Unterschiede in der Zusammenarbeit und im Alltag. Eines der größten Themen ist die deutsche Direktheit, mit der man vielen Menschen hier auf den Schlips tritt. Die Amerikaner sind deutlich höflicher – und erwarten das auch umgekehrt.

Meine bisherige Einschätzung: die Amerikaner sind schneller offener. Es braucht aber die gleiche Zeit und die gleiche Erfahrung miteinander, bis die Basis –im positiven Sinne belastbar ist. Entertainment und Popkultur sind sehr bestimmend in den USA. Das ist hier ein wichtiger Teil der Kultur. Stars wie Beyoncé und Taylor Swift sind hier die Königinnen und haben großen Einfluss – auch dank ihrer Aktivitäten in den sozialen Medien. Die Anwesenheit von Taylor Swift beim jüngsten Super Bowl hat dies in aller Deutlichkeit gezeigt.

Auch in der Politik läuft es ähnlich. Ich glaube, wir Deutschen unterschätzen schlicht den Entertainmentfaktor von Donald Trump. Die Amerikaner wollen auch in der Politik unterhalten werden. Trump ist kontrovers, polarisiert, das bekommen die US-Bürger in der Politik sonst selten. Auch sind es viele Amerikaner leid, die „Weltpolizei“ zu sein, weil sie im eigenen Land genügend eigene Probleme zu lösen haben. Dafür steht Trump in den Augen vieler.

WirtschaftsKraft: Wie sieht ihr Alltag aktuell aus? Wie gestaltet sich das Arbeiten von Los Angeles aus? Gibt es Herausforderungen aufgrund der Zeitverschiebung?

Alicia Lindner: Ja, ich habe als Co-Geschäftsführerin und Eigentümerin viele Hüte auf und balanciere gerade zwei Jobs in zwei Zeitzonen. Das erfordert einfach sehr effizientes Arbeiten. Man schaut noch mal genauer auf die Prioritäten. Und manche Dinge gehen jetzt einfach nicht und müssen warten. Mein Bruder und unsere Teams unterstützen mich sehr, denn ich kann per Definition nicht 200 Prozent arbeiten. Auch die Reisen innerhalb der USA erfordern aufgrund der Größe des Landes und inneramerikanischen Zeitzonen sehr viel Organisation und effiziente Planung.

WirtschaftsKraft: War ihre Familie von Ihren USA-Plänen von Anfang an begeistert? Wie organisieren Sie das Familienleben in den USA? War es einfach, Betreuungsplätze für die Kinder zu finden? Sprechen Sie inzwischen alle englisch miteinander?

Alicia Lindner: Es ist ein Erlebnis und ein Abenteuer mit meinem Mann und unseren drei Kindern. Mein Mann war von Anfang an begeistert, die Kinder anfangs noch etwas zögerlich, weil sie nicht wussten, was auf sie zukommt. Aber erstaunlich: Unsere Kinder haben sich am schnellsten eingelebt. Für sie zählt: Hauptsache, wir sind zusammen. Betreuungsplätze zu finden war in der Tat schwierig. Mittlerweile sind meine Kinder in einem deutsch-amerikanischen Kindergarten und fühlen sich sehr wohl. Sie sprechen mittlerweile auch schon alle recht gut englisch.

WirtschaftsKraft: Warum war dieser Schritt für Sie richtig?

Alicia Lindner: Ich wollte diesen für uns sehr wichtigen Markt besser verstehen. Ich wollte selbst mit den großen Handelsketten, den Händlern, aber auch mit den Kundinnen am Regal in die Diskussion gehen und selbst verstehen, weshalb unsere Produkte gekauft werden – oder warum auch nicht.

So erlebe ich vor Ort, wo die Grenzen liegen, an die unser Vertriebsteam stößt, sehe aber natürlich auch viele Chancen, die mir vorher nicht bewusst waren. Die Menschen hier interessieren sich für den „Black Forest“, und Produkte aus Deutschland haben nach wie vor einen hohen Stellenwert.

WirtschaftsKraft: Was verbindet die USA und Börlind?

Alicia Lindner: Wir sind seit über 30 Jahren in den USA aktiv. Vor drei Jahren haben wir eine eigene Niederlassung gegründet und haben ein eigenes Team vor Ort. In erster Linie verbindet uns die Liebe zur Natur, Kosmetik und natürlich Naturkosmetik.

WirtschaftsKraft: Ihr Bruder hält Ihnen in Deutschland den Rücken frei. Wie wichtig ist diese Unterstützung für Sie?

Alicia Lindner: Wir sind ein eingespieltes Team. Aufgaben und Projekte, die bekanntlich immer komplexer werden, können wir zu zweit besser bewältigen und wir ergänzen uns mit unseren unterschiedlichen Fähigkeiten sehr gut. Seit Anfang Februar unterstützt uns Peter Müller-Pellet als dritter Geschäftsführer. Wir wissen alle sehr genau, was dem anderen wichtig ist und denken das meistens im vornherein schon mit. Das hilft bei der Entscheidungsfindung und im Zweifel auch gerade jetzt, wenn mein Bruder und Peter schnelle Entscheidungen treffen müssen.

WirtschaftsKraft: Wie würden Sie das Verhältnis mit Ihrem Bruder beschreiben? Wenn man sich von klein auf kennt, ist man sich ja auch den Schwächen des anderen sehr bewusst. Spielt das manchmal eine Rolle oder sind Sie sich im Geschäftlichen immer einig?

Alicia Lindner: Unser Verhältnis deckt von professionell-sachlich zu geschwisterlich-albern so ziemlich alles ab. Wir haben über die Jahre gelernt, wann man in welcher Rolle miteinander spricht. Wir können sehr schnell zwischen professionellen und privaten Themen wechseln, ohne etwas zu vermischen. Wir kennen unsere Schwächen voneinander sehr gut- und mit Sicherheit in einer anderen Tiefe als wenn man “nur” viele Jahre zusammenarbeitet. Das behindert uns aber nicht, sondern macht es für mich einfacher einzuschätzen, warum mein Bruder wie reagiert. Wir sind uns natürlich nicht immer einig im Geschäftlichen. Das ist auch gar nicht unser Anspruch. Die Frage ist eher, wie man zu einer guten gemeinsamen Lösung findet. Das haben wir bisher immer geschafft.

WirtschafstKraft: Als Entscheiderin betonen Sie die Bedeutung, klare Meinungen zur Politik zu äußern. Welche Rolle sollten Unternehmen in politischen Diskursen spielen?

Alicia Lindner: Ich bin der Meinung: Die schweigende Mehrheit hat zu lange geschwiegen und als selbstverständlich angesehen, was unsere Demokratie ermöglicht. Viele haben keine Lust aufs Anecken, sie lassen die Finger von den Themen. Aber so funktioniert Demokratie nicht, wir sollten und wir müssen in den Diskurs gehen. Wenn immer nur die Extrempositionen bereit sind, für ihre Meinungen zu kämpfen und der ganz große andere Teil kämpft nicht, dann ist das gefährlich. Weil die lauten Rechten zu viel Platz in der öffentlichen Diskussion und in der Berichterstattung bekommen. Ich möchte das nicht und wir sollten uns das gut überlegen, ob wir das als Gesellschaft wollen. Über rechtes Gedankengut hinwegzuschauen, funktioniert nicht. Wir müssen darüber sprechen, warum es keine einfachen Antworten auf schwierige Fragen gibt. Wir haben eine Vorbildfunktion und die Verpflichtung die Geschichte richtig zu erzählen. Wir müssen alle lauter werden, um unsere Meinungen zu vertreten – nicht nur einmal, sondern immer!

WirtschaftsKraft: Sie sprechen davon, in den Diskurs zu gehen mit Menschen, die sich politisch zum rechten Rand orientieren. Können Sie uns einen Einblick geben, wie Sie diese Gespräche führen? Spüren Sie in diesen Tagen auch Gegenwind?

Alicia Lindner: Wir müssen in den Diskurs gehen mit Menschen, die sich politisch zum rechten Rand orientieren – jeden Tag und überall. Wir müssen Menschen wachrütteln, die sich von einfachen Lösungen und Stammtischparolen einlullen lassen. Wir müssen Lösungen aufzeigen, weil die Politik es allein nicht kann. Ich halte nichts von der Verteufelung der WählerInnen am rechten Rand. Wir müssen darüber sprechen, warum sich jemand dorthin orientiert. Manche fühlen sich aktuell nicht gehört oder falsch repräsentiert. Manche sind schlichtweg falsch informiert. Wieder andere wollen einfache Basta-Lösungen, die es oft nicht gibt. Die Grenze ziehe ich persönlich bei allen Überzeugungen, die unsere Verfassung und unsere Freiheit gefährden. Aber hinter dieser Linie stehen -noch- die wenigsten.

Wir als UnternehmerInnen haben oft die Möglichkeit, mehr Menschen zu erreichen und öffentlich zur Meinungsbildung beizutragen. Das Privileg müssen wir jetzt nutzen. Ich will nicht abwarten, bis die Gesellschaft gespalten ist, sondern etwas zur Vereinigung beitragen. Natürlich bekomme ich auch auf meine LinkedIn-Posts zu diesen Themen kritische Kommentare. Aber ich bin der festen Meinung, dass Zurückhaltung an dieser Stelle falsch ist. Sie führt zu einem Erstarken der rechts gerichteten Ideologie.

Ich habe mich entschlossen, mich in meiner Heimatstadt Calw als Kandidatin für den Gemeinderat zur Wahl aufstellen zu lassen. Jetzt kann man sagen, dass die kleine politische Einheit keinen Einfluss und keine Macht hat. Aber was, wenn doch? Was wenn jede:r, der Ideen hat, wie man manches besser machen könnte, es auch tatsächlich tut? Das würde ich gerne ausprobieren- sofern ich gewählt werde.

WirtschaftsKraft: Als Abschiedsgeschenk bekamen Sie von der Belegschaft in Deutschland einen Schwarzwälder Bollenhut. Hatten Sie schon Gelegenheit, diesen zu tragen?

Alicia Lindner: Der Hut erinnert mich jeden Tag an meine Heimat und an meine Mission. Bei einem Pressedinner in Los Angeles kommt das gesamte Schwarzwald-Tracht-Outfit zum Einsatz. Die Amerikaner lieben Traditionen und „Kulturelles Erbe“. Damit können wir als traditionsreiche Marke „Made in the Black Forest“ bestens glänzen.

Lesen sie auch:

Jetzt Newsletter abonnieren und von vielen Vorteilen profitieren!