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Wirtschaftskraft ist in der Tat ein „Plus“ – ein Mehr an Themen, an Hintergründen und an Aktualität. Mit dieser Plattform wird die wirtschaftliche Kompetenz des Standortes Pforzheim medial begleitet und weit in die Region getragen.

Oliver Reitz

Direktor des Eigenbetriebs Wirtschaft und Stadtmarketing Pforzheim (WSP)

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Interview mit Landrat Helmut Riegger

In unserem Gespräch mit Landrat Helmut Riegger ging es um die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Nordschwarzwald, die aktuelle Stimmungslage und natürlich die Rolle der Digitalisierung.
©Landratsamt Calw

Zu Corona-Zeiten Landrat zu sein, ist sicher auch keine leichte Aufgabe. Was sind derzeit Ihre größten Herausforderungen?

Ziel meines täglichen Handelns ist es, die bestmöglichen Lebens- und Arbeitsbedingungen für die Bewohner*innen sowie für die Unternehmen im Landkreis Calw zu schaffen. Um gleichwertige Lebensverhältnisse im urbanen und ländlichen Raum zu erreichen, gilt es eine Menge Herausforderungen zu bewältigen.
Helmut Riegger, Landrat

Der Schutz der Gesundheit der Menschen und die Eindämmung des Coronavirus haben oberste Priorität. Allein hierbei ergeben sich vielfältige Herausforderungen wie etwa das Abwägen von Maßnahmen zur Vermeidung einer weiteren Ausbreitung des Infektionsgeschehens gegenüber den damit in Verbindung stehenden Beschränkungen des öffentlichen Lebens und Eingriffen in die persönliche Freiheit jedes Einzelnen. Die Aufgabe, die uns in diesem Zusammenhang am meisten abverlangt, stellt die sehr personalintensive Kontaktpersonennachverfolgung dar. Hier werden Mitarbeiter*innen aus allen Bereichen der Kreisverwaltung sowie Helfer aus den Reihen der Bundeswehr eingesetzt. Parallel zum pandemiebedingten Arbeits- und Personalmehraufwand müssen auch weiterhin Aufgaben und Dienstleistungen wie beispielsweise im Bereich der Jugendhilfe, der Sozialen Hilfen, der Kfz-Zulassung oder auch der Baurechtsbehörde aufrechterhalten werden. Dies bedeutet einen enormen organisatorischen Spagat. 

Wie ist die aktuelle Stimmungslage in wirtschaftlicher Hinsicht, auch im Hinblick auf die Automobilindustrie?

Glücklicherweise ist die Wirtschaft im Landkreis Calw mit Blick auf die Branchenverteilung insgesamt recht breit aufgestellt. Es gibt viele Handwerksbetriebe, Handelsunternehmen, Industriebetriebe sowie vielschichtige Dienstleistungsunternehmen. Die Automobilindustrie befindet sich schon seit geraumer Zeit in einem Wandel. Diese Situation wird nun durch die Corona-Pandemie weiter verschärft. Im Zuge dieses weitreichenden Transformationsprozesses ergeben sich für die gesamte Automobilindustrie, aber ganz konkret auch für unsere örtlichen Zulieferbetriebe, große Herausforderungen. Positiv stimmt mich der hohe Innovationsgrad in den Betrieben im Landkreis Calw.

Die Corona-Lage spitzt sich weiter zu, wie ist der Kreis darauf vorbereitet?

Die Kreisverwaltung befindet sich seit Beginn der Pandemie im engen Austausch mit zahlreichen Partnern – angefangen von unseren Kreiskommunen über die Kliniken, die Kreisärzteschaft, das DRK, die Polizei, Senioren- und Pflegeeinrichtungen bis hin zu Vertretern zahlreicher Vereine, Dachverbände sowie Institutionen u.v.m. Im Rahmen dieser Zusammenarbeit und basierend auf den geltenden Corona-Vorgaben wird eine gut aufeinander abgestimmte Vorgehensweise zur Vermeidung einer weiteren Ausbreitung des Coronavirus im Kreis Calw festgelegt. Diese umfasst beispielsweise eine engmaschige Betreuung und Überwachung der Situation der vulnerablen Bevölkerungsgruppe in den Heimen, die Umsetzung umfangreicher Hygienekonzepte, eine Aufstockung der Testkapazitäten oder ein gemeinsames Konzept der Kliniken und Reha-Einrichtungen zur stationären medizinischen Versorgung der Bevölkerung in der Pandemie. In der Krise liegt auch eine Chance – so fließen die Erfahrungen aus der Pandemie beispielsweise derzeit in die Umsetzung des Medizinkonzepts für den Landkreis Calw ein. 

Was macht den Wirtschaftsstandort Nordschwarzwald attraktiv? Wo stellt man vielleicht sein Licht unter einen zu kleinen Scheffel? Wenn man zeigt was man kann, ist das ja keine Angeberei, oder?

Der Wirtschaftsstandort Nordschwarzwald lebt von seinen vielen kleinen und mittelständischen Unternehmen, die vielfach inhaber-/familiengeführt sind. Die Unternehmer*innen sind mit viel Herzblut bei der Sache und sichern mit ihrem großartigen Engagement, ihrer Flexibilität und ihrem Innovationsgeist die wirtschaftliche Zukunft von morgen. Zwar zählt der Nordschwarzwald zum ländlichen Raum, dennoch wollen wir den Menschen hier bieten, was die Ballungsräume attraktiv macht. Dafür setzen wir uns ein und machen uns mit der regionalen Wirtschaft stark, damit wir mit einer verbesserten Infrastruktur gestärkt in die Zukunft gehen. Dabei agieren wir mit einer klaren Strategie, um den Kreis noch attraktiver zu gestalten. Zu den Kernfeldern, deren Weiterentwicklung wir vorantreiben, gehören neben der Mobilität – z.B. Stichwort Hermann-Hesse-Bahn – auch die Digitalisierung mit unserem Breitbandausbau und dem Ziel der Verwaltung 4.0 sowie die Neuausrichtung der Gesundheitsversorgung mit dem Klinikneubau und angeschlossenem Gesundheitscampus in Calw und der Erweiterung und Generalsanierung der Kliniken Nagold.

Wo müsste mehr zusammengearbeitet werden?

Insgesamt gewinnen in unserer globalisierten Welt sektoren- und kommunalübergreifende Kooperationen zunehmend an Bedeutung. Insellösungen sind nicht zielführend und werden auf Dauer auch keinen Bestand haben – dasselbe gilt für Kirchturmpolitik. Insofern ist eine gezielte Zusammenarbeit unabdingbar und für jeden Akteur im Einzelnen auch wieder gewinnbringend.

Sie haben einmal gesagt sie wollen gestalten, ist der Gestaltungsauftrag jetzt mit dem Projekt Hesse-Bahn (trotz langwierigem Prozess) beendet? Ihr Geduldsfaden musste da ja einiges aushalten.

Bei einem so komplexen und bedeutenden Projekt wie der Reaktivierung der Schienenanbindung der Region Calw an die Region Stuttgart/Sindelfingen/Böblingen gehört es dazu, dass es die eine oder andere Hürde zu bewältigen gilt. Wichtig ist aber, immer das Ziel im Auge zu behalten. Vor dem Hintergrund des Klimawandels müssen wir gerade das Thema Mobilität künftig noch stärker in den Blickpunkt nehmen. Parallel dazu arbeiten wir an vielen weiteren Projekten in ganz verschiedenen Bereichen. Damit stellen wir die Weichen für die zukunftsfähige Entwicklung des Kreises – sowohl was die ökonomische Leistungsfähigkeit, als auch was die weichen Standortfaktoren und die Lebensqualität für die Menschen in der Region angeht. 

Digitalisierung ist für Sie nicht nur ein Wort, Sie wollen da schnell vorangehen. Wie sieht der Plan aus und wo unterbricht im Raum Calw die Verbindung?

Gerade die Corona-Pandemie mit Home-Office, Home-Schooling u.ä. hat uns eindrücklich vor Augen geführt, welch wichtige Rolle die Digitalisierung spielt. Der Landkreis Calw hat bereits vor mehreren Jahren eine Digitale Agenda erarbeitet. Im Rahmen ihrer Umsetzung wurde mit dem Ziel einer möglichst flächendeckenden Versorgung der Bevölkerung mit schnellem Internet der Eigenbetrieb Breitband Landkreis Calw gegründet. Mittlerweile verfügen wir über ein rund 600 Kilometer langes Glasfasernetz. In 18 Teilorten wurden zahlreiche Gebäude direkt mit einem Glasfaseranschluss versorgt und es geht kontinuierlich weiter. Aufbauend auf der neuen Glasfaserinfrastruktur treiben wir auch den Ausbau der Mobilfunkversorgung im Kreis Calw voran. Eine weitere Säule der Digitalen Agenda stellt unter dem Stichwort „Verwaltung 4.0“ der Ausbau der Online-Angebote des Landratsamts dar. So waren wir beispielsweise der erste Kreis in Baden-Württemberg, der die Online-Zulassung eingeführt hat. Als Träger der beruflichen Schulen ist es uns zudem ein großes Anliegen, unsere Bildungseinrichtungen mit einer modernen Technik auszustatten. Hier haben wir bereits frühzeitig in die Digitalisierung beispielsweise durch Anschaffung von Tablets und den Ausbau entsprechender W-LAN-Netzwerke investiert. Aus dem DigitalPakt Schule erhalten wir 2,8 Millionen Euro, die in den weiteren Ausbau der IT-Infrastruktur unserer Schulen fließen werden.

Welche Rolle spielt für Sie der Tourismus?

Der Tourismus ist im Landkreis Calw ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Wir zählen jährlich 1.38 Millionen Übernachtungen in den 200 gewerblichen Betrieben. Über 2.200 Arbeitsplätze in unserer Region sind direkt vom Tourismus betroffen und ganz klar haben wir mit unserer touristischen Ausrichtung auch für die Bewohner unserer Region ein dickes Plus beim Standortfaktor Lebensqualität. Private Investitionen in die touristischen Gastronomie- und Beherbergungsbetriebe sowie in touristische Ausflugsziele erhöhen die Attraktivität der gesamten Region. Der Landkreis Calw und die Kommunen des Landkreises unterstützten hierbei durch die Weiterentwicklung der öffentlichen touristischen Infrastruktur um Wanderwege, Radwege, Parkplätze, Beschilderungs- und Leitsysteme für Besucher und Gäste. Dabei nimmt die 2013 vom Landkreis Calw und 14 Kreiskommunen gegründete Tourismus GmbH Nördlicher Schwarzwald eine ganz entscheidende Rolle ein. Sie fördert die ganzheitliche Vermarktung der Region und steht in regelmäßigem Kontakt z.B. zum Kreisverband der DEHOGA, zu den politischen Vertretern im Landtag, im Städte- und Gemeindetag sowie zu den institutionellen Verbänden wie der Tourismus Marketing GmbH Baden-Württemberg und der Schwarzwald Tourismus GmbH. Dies hat sich nicht zuletzt auch in Pandemiezeiten als äußert wertvoll erwiesen. Während des ersten Lockdowns gab es einen intensiven Austausch über die Situation, die Ängste und Sorgen der Gastronomie, der Hotellerie und des Tourismus. Insbesondere bei der Auslegung und Umsetzung der jeweiligen Verordnungen und den Vorbereitungen zum Neustart gab es eine intensive Abstimmung und gegenseitige Unterstützung zur Ausarbeitung und Kommunikation von Handlungsempfehlungen, Leitfäden, Hygiene- und Besucherlenkungskonzepten und die Präsentation von Best-Practice-Beispielen. So sind Touristiker und Betriebe, aber auch Verwaltung und Politik noch enger zusammengerückt und haben gezeigt, dass praktische Lösungsansätze oft ganz pragmatisch zum Ziel führen können. Nach vielen Jahren der immer wieder neuen Rekordzahlen im Tourismus für Baden-Württemberg sind diese momentan nicht entscheidend. Vielmehr wird es entscheidend sein, wie viele starke und marktfähige Betriebe und Unternehmer wir durch diese Krise bekommen und wie wir sie unterstützen können und um unsere Regionen wirtschaftlich stark zu halten.

Sie werden oftmals als Macher bezeichnet. Ihrer Aussage nach, hat der Kreis Calw einen infrastrukturellen Nachholbedarf, wie sieht Ihre Agenda aus, welche Projekte stehen an?

Ziel meines täglichen Handelns ist es, die bestmöglichen Lebens- und Arbeitsbedingungen für die Bewohner*innen sowie für die Unternehmen im Landkreis Calw zu schaffen. Um gleichwertige Lebensverhältnisse im urbanen und ländlichen Raum zu erreichen, gilt es eine Menge Herausforderungen zu bewältigen. Denn wir im Landkreis Calw stehen zunehmend in Konkurrenz um eine angemessene Infrastruktur mit dem Ballungsraum Stuttgart und es bedarf einer Kraftanstrengung, um uns zukunftsfähig aufzustellen. Darüber hinaus müssen auch wir im Nordschwarzwald, im ländlichen Raum, von der großen Politik wahrgenommen werden.

Gemeinsam mit dem Kreistag haben wir in den vergangenen Jahren wichtige Zukunftsprojekte für den Landkreis Calw angestoßen, die es umzusetzen gilt. Hierzu zählen neben dem bereits angesprochenen Medizinkonzept mit Neubau der Kliniken samt angeschlossenem Gesundheitscampus in Calw sowie Erweiterung und Generalsanierung der Kliniken Nagold oder der Realisierung der Hermann-Hesse-Bahn z.B. die Verbesserung der Schienenanbindung der Region Nagold, der weitere Ausbau der Breitband- und Mobilfunkversorgung sowie der Online-Dienste der Kreisverwaltung und der IT-Infrastruktur unserer beruflichen Schulen, die Fertigstellung des Erweiterungsbaus des Landratsamts Calw, die Neuordnung der Straßenmeistereien, der Ausbau der Straßeninfrastruktur, aber auch ein verstärktes Engagement im Bereich des Klimaschutzes. Dazu braucht es Durchsetzungsvermögen und Geduld. Diese aufzubringen, ist nicht immer einfach. Aber ich werde nicht müde, mich diesen Herausforderungen für den Landkreis zu stellen.

Das Interview führte Tanja Meckler

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