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Oliver Reitz

Direktor des Eigenbetriebs Wirtschaft und Stadtmarketing Pforzheim (WSP)

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Insektenzucht als Landwirtschaft 4.0

Industrie 4.0? - Das lässt sich auch auf die Landwirtschaft übertragen. Und wer weiß, ob Forschungsleiterin Elena Werner und ihre Kollegen von Alpha Protein nicht irgendwann dafür verantwortlich sind, dass Landwirte von der Schweinehaltung zum Beispiel zur Insektenzucht übergehen. Ein Porträt.
Alles im Blick hat Forschungsleiterin Elena S. Werner von Alpha Protein. Bildquelle: Jennifer Warzecha

21.06.2023

„Wenn die Menschen offener geworden sind dafür, Insekten zu essen und sobald die Nachfrage nach Nahrungsmitteln und Nahrungsergänzungsmitteln groß genug ist, wollen wir auch auf dem Lebensmittelmarkt vertreten sein."
Elena Werner

Von Jennifer Warzecha

Insekten züchten – eine (noch) nicht alltägliche Tätigkeit, aber möglicherweise doch nahe Zukunft. Schaut man den Mitarbeitenden des Maschinenbau-Startups Alpha-Protein im Bruchsaler Industriegebiet über die Schulter, gewinnt man den Eindruck.

„Wir haben uns auf die technische Umsetzung in der Insektenzucht im industriellen Maßstab spezialisiert. D.h. wir produzieren ein komplett automatisiertes Insektenzuchtsystem in Hochregallagern wie bei amazon. Das bedeutet, dass wir uns auf Mehlwürmer im Besonderen spezialisiert haben. Bei Mehlwürmern ist der Vorteil, dass man alle Lebensstadien des Insektes (Larve, Puppe, Käfer) in Kisten halten kann. Das macht das Ganze einfach automatisierbar, da die Insekten an sich anspruchslos in der Haltung sind.“ Das berichtet Forschungsleiterin Elena Werner, die Biologie und Chemie studiert hat und in einer Insektenzucht gearbeitet hatte, bevor sie zum Startup dazugestoßen ist.   

Revolution

Auf die Frage, ob da nicht eine interne Revolution unter Landwirten stattfinden könne, bei der man statt Schweinen und Rindern Insekten züchtet, sagt Elena Werner: „Tatsächlich wird die Insektenzucht als Landwirtschaft 4.0 bezeichnet. Teilweise überlegen sich Landwirte, von der Schweinehaltung zum Beispiel zur Insektenzucht überzugehen. Wir werden oft von Schweinemastbetrieben angesprochen, ob man einen Schweinestall zum Insektenaufzuchtbetrieb umfunktionieren kann. Das ist aber eine individuelle Sache, die davon abhängt, ob der Stall dafür geeignet ist und wie energieeffizient und nachhaltig die Zucht vor Ort gestaltet werden kann.“

So sehen die Insekten in ihrer Aufzuchtstation von nahem aus. Bildquelle: Jennifer Warzecha

Produkte  

Aktuell können die Kundinnen und Kunden Alpha-Grow, ihren organischen, aus Insektenkot hergestellten, hygenisierten und pelletierten Dünger unter anderem im Online-Shop und in verschiedenen Bau- und Gartenmärkten kaufen. Ab Herbst stellen Elena Werner und ein Team von gut 25 Mitarbeitenden aus dem Bereich der Ingenieurswissenschaften, Naturwissenschaften und Ökonomie auch ein Heimtierfutter für Wildvögel wie Meisen, Amseln, Rotkehlchen und Singdrosseln her. Außerdem produzieren sie lebendige Mühlwürmer für Zoos und Tierparks als Tierfutter. Auch Privatpersonen wie Vogelzüchter bestellen bei ihnen das Futter. Hier am Forschungs- und Entwicklungsstandort im HubWerk01 in Bruchsal validierten sie das Zuchtsystem und die Technik, samt Prototypen für die spätere industrielle Produktion. Der Baubeginn des Gebäudes, in dem die industrielle Produktion stattfinden wird, findet im Herbst dieses Jahres in Ludwigshafen statt. Hier werden sieben bis zehn Tonnen lebende Mehlwürmer am Tag hergestellt.

Selbsteinschätzung

„Wir sehen uns primär als Technologielieferant für die industrielle Insektenzucht und Hersteller von Pet food (Heimtierfutter), Aquafeed und Nutztierfuttermittel für Schweine, Hühner und Legehennen. Wir möchten dafür sorgen, dass weniger Sojamehl und -eiweiß importiert werden muss oder Fische aus den Weltmeeren zur Fischmehlproduktion abgefischt werden.“

Hier in offener Atmosphäre im Bruchsaler HubWerk01 arbeitet es sich in lockerer Atmosphäre und Umgebung. Bildquelle: Jennifer Warzecha

Perspektiven

„Wenn die Menschen offener geworden sind dafür, Insekten zu essen und sobald die Nachfrage nach Nahrungsmitteln und Nahrungsergänzungsmitteln groß genug ist, wollen wir auch auf dem Lebensmittelmarkt vertreten sein; nicht als Erlebnisprodukte, sondern als Grundnahrungsmittel zum Beispiel in Pasta oder Backwaren. Das dient der guten Ernährung“, erzählt Elena Werner weiter.   

Die Wege sind kurz, die Zusammenarbeit dafür sehr gut. Die Insekten selbst befinden sich in anderen Räumen, die andere Wärme- und Hygienebedingungen haben, aber auch nur ein Stockwerk weit entfernt sind. Bildquelle: Jennifer Warzecha

Hintergrund

Idee und Projekt gibt es schon seit 2017. „Der Gründer Gia Tien Ngo war im Rahmen seines Masterstudiums im Bereich Wirtschaft, Marketing und Management in Boston und hat dort in einem pescetarischen Haushalt gelebt. Das bedeutet, dass die Leute kein Fleisch, aber Fisch essen durften. Weil Fisch in Boston so teuer ist, hat er sich eine Zeit lang rein vegetarisch ernährt. Er hat sich dann aber müde und schlapp gefühlt. Beim Füttern der Hühner seiner Vermieterin mit Mehlwürmern, fiel ihm deren hoher Proteingehalt auf. Aus diesem Grund fing er an, sich die Würmer in seinen morgendlichen Smoothie zu mischen“, berichtet Elena Werner weiter. Bald ging es ihm erheblich besser. „Dies motivierte ihn, seine Masterarbeit über das Thema Insektenzucht zu verfassen. Das extreme Marktpotenzial des Themas motivierte ihn zu der Gründung des Unternehmens. Dafür kehrte er zu seinen Wurzeln nach Baden-Württemberg zurück.“ Bald stießen der Entwicklungsleiter Rohi Shalati und Forschungsleiterin Elena Werner dazu. 2020 haben sie dann die Alpha-Protein GmbH gegründet und inzwischen sind sie ein Team von gut 25 Mitarbeitenden.

Praktikantin Olivia Oetter testet im Orientierungspraktikum, ob Insektenforschung und ihre Aufzucht das Richtige für sie ist. Bildquelle: Jennifer Warzecha

Frischer Wind

„Es gibt viele Bacheloranden und Masteranden, die das Team alsdann ergänzen und frischen Wind und Ideen mit ins Unternehmen bringen“, freut sich Elena Werner. Eine davon ist Praktikantin Olivia Oetter, die zwischen Abitur und Studium ein Orientierungspraktikum macht. Für ihr Experiment, in dem es um Unterschiede im Wachstum zwischen unterschiedlichen Zuchtlinien geht, wiegt Olivia wöchentlich jeden einzelnen ihrer Versuchs-Mehlwürmer und identifiziert so besonders schnell wachsende Tiere. Für den aktuellen Versuch sind das 270.        

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