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Oliver Reitz

Direktor des Eigenbetriebs Wirtschaft und Stadtmarketing Pforzheim (WSP)

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Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie stellt Frauen vor große Herausforderungen - kann es gelingen?

Sabine Rath arbeitet seit fast 22 Jahren bei der BASF in Ludwigshafen. Als Mutter von vier Töchtern setzt sie sich auch in den sozialen Medien für ihr Herzensthema Motherhood Penalty ein.
Als Mentorin und aktive Stimme in den sozialen Medien setzt sich Sabine Rath dafür ein, die finanzielle und berufliche Benachteiligung von Müttern in Unternehmen sichtbar zu machen. Foto: Markus Weik

04.09.2024

"Es kann nicht sein, dass ausgerechnet die Menschen, die sich um den Nachwuchs - also die Zukunft unserer Gesellschaft - kümmern, finanziell und beruflich so hart dafür abgestraft werden, dass sie für einige Jahre Carearbeit über Erwerbsarbeit stellen."
Sabine Rath

Sabine Rath ist gelernte Diplom-Pädagogin, die immer Lehrerin werden wollte. Schließlich landete sie doch in Corporate und arbeitet nun seit fast 22 Jahren bei der BASF in Ludwigshafen. Ihre Kompetenzen setzt sie erfolgreich im Bereich Global Digital Solutions ein und begleitet als Organisationsentwicklerin und Agile Coach die agile und digitale Transformation mit dem Fokus auf People & Culture.

Sabine Rath ist ebenso Mutter. Und das bereits seit 17 Jahren – davon seit 10 Jahren als Mutter von vier Kindern. In dieser Zeit hat sie zahlreiche Teilzeitmodelle ausprobiert (von 5% bis 80%), da sie zwischen jeder Elternzeit gearbeitet hat. Sie blickt auf insgesamt 13 Jahre in Eltern- und Teilzeit zurück. Seit 2020 arbeitet Sabine Rath wieder in Vollzeit. Damit kam sie zu der Erkenntnis, dass jahrelange Teilzeit, in die Mütter ihrer Meinung nach per System reingedrängt werden, in die finanzielle Abhängigkeit des Partners und in die berufliche Benachteiligung treibt.

Als Mutter von vier Töchtern und selbst Tochter einer „nicht-in-der-Erwerbsarbeit-tätig-gewesenen-Mutter“ liegt mir das Thema Motherhood Penalty („Mutterschaftsstrafe“ Anm. d. Red) sehr am Herzen. Es kann nicht sein, dass ausgerechnet die Menschen, die sich um den Nachwuchs – also die Zukunft unserer Gesellschaft – kümmern, finanziell und beruflich so hart dafür abgestraft werden, dass sie für einige Jahre Carearbeit über Erwerbsarbeit stellen.

Sabine Rath

WirtschaftsKRAFT hat mit Sabine Rath in einem Interview über die Vereinbarkeit von Beruf und Familie gesprochen.

WirtschaftsKRAFT: Frau Rath, Sie erwähnen, dass Sie sich viele Jahre vor allem selbst in Frage gestellt haben und Ihre Grenzen überschritten haben, um den Anforderungen von Familie und Beruf gerecht zu werden. Was war der entscheidende Moment oder die Erkenntnis, die Sie zu dem Schluss gebracht hat, dass das Problem nicht bei Ihnen, sondern im System und der gesellschaftlichen Haltung liegt?

Sabine Rath: Es war eher ein schleichender Prozess. Irgendwann habe ich angefangen darüber zu schreiben, dass sich Vereinbarkeit trotz maximaler Anstrengung und Selbstoptimierung nicht wirklich rund anfühlt, egal, wie sehr ich mich bemühte, die Erwartungen von Beruf und Familie zu erfüllen. Dadurch fing ich an, mich intensiver mit den strukturellen Hürden auseinanderzusetzen, denen vor allem Mütter ausgesetzt sind und mir wurde klar, dass das Problem nicht mein persönliches Versagen war, sondern tief in einem System verwurzelt ist, das auf traditionellen Rollenbildern und ungleichen Machtverhältnissen basiert. Die Erkenntnis, dass nicht ich mich ändern muss, sondern das System, war befreiend und zugleich der Beginn meines Engagements gegen die finanzielle und berufliche Benachteiligung von Müttern in Deutschland.

WirtschaftsKRAFT: Sie sprechen davon, dass Mütter in ihrer beruflichen und finanziellen Entwicklung oft klein gehalten werden, obwohl sie wesentlich mehr arbeiten, wenn man Erwerbs- und Care-Arbeit zusammenzählt. Können Sie konkrete Beispiele nennen, wie sich diese Benachteiligung im Alltag von Müttern zeigt?

Sabine Rath: Ein Beispiel ist die Teilzeitfalle, in die viele Mütter nach der Geburt ihrer Kinder geraten. Sie reduzieren ihre Arbeitszeit, um Familie und Beruf vereinbaren zu können, werden dadurch aber von beruflichen Aufstiegsmöglichkeiten und Gehaltserhöhungen ausgeschlossen. Hinzu kommt der Part-Time-Wage-Gap, dieser liegt in Deutschland bei rund 17 Prozent je Stunde bei exakt gleicher Tätigkeit. Das hört sich zunächst nicht so dramatisch an. Aber bei einem Gehalt von 3.000 Euro fehlen Frau hier jeden Monat 500 Euro. Aufs Jahr hochgerechnet sind das bereits 6.000 Euro, nach 30 Berufsjahren kommen ganze 184.000 Euro zusammen – die sich verzinst zu einer Summe entwickeln, bei der Altersarmut kein großes Thema mehr wäre. Was viele außerdem unterschätzen: Arbeit in Teilzeit (60% und weniger) mag verheißungsvoll klingen. Faktisch zwingt es Mütter jedoch in die finanzielle Abhängigkeit ihrer PartnerInnen.

Gleichzeitig wird Care-Arbeit, also die Betreuung von Kindern oder die Pflege von Angehörigen, gesellschaftlich kaum wertgeschätzt und finanziell nicht kompensiert. Das führt dazu, dass Mütter langfristig finanziell wesentlich schlechter dastehen, insbesondere im Alter. Auch der Mangel an flexiblen Arbeitsmodellen oder die Erwartung, dass Mütter selbstverständlich für krankheitsbedingte Ausfälle ihrer Kinder zuständig sind, zeigen, wie sehr sie im Alltag benachteiligt werden.

WirtschaftsKRAFT: Was ist Ihr Rat an Mütter oder auch Väter, kann Vereinbarkeit von Beruf und Familie überhaupt gut gelingen in der heutigen Zeit?

Sabine Rath: Vereinbarkeit kann gelingen, aber es erfordert, dass Eltern sich bewusst von den überhöhten Ansprüchen der Gesellschaft lösen und sich gegenseitig unterstützen. Es ist wichtig, die Aufgaben in der Familie gleichberechtigt zu teilen und offen mit dem Arbeitgeber über die eigenen Bedürfnisse zu sprechen. Zudem können Eltern Netzwerke suchen und nutzen, sei es in der Familie, im Freundeskreis oder durch professionelle Unterstützung und sich dabei immer wieder bewusst machen, dass die fehlenden Rahmenbedingungen in Deutschland einen Großteil dazu beitragen, dass Vereinbarkeit sich nicht rund anfühlt.

Klar ist jedoch auch: Ohne gesellschaftliche Veränderungen, ein Umdenken in Unternehmen, sowie ein engagiertes Handeln der Politik, bleibt Vereinbarkeit eine Herausforderung, die vor allem auf dem Rücken der Mütter bewältigt wird. Die immer weiter sinkende Geburtenrate in unserem Land ist bereits eine Antwort auf die fehlenden Rahmenbedingungen.

WirtschaftsKRAFT: Welche konkreten Maßnahmen und Veränderungen wären notwendig, um diese Rahmenbedingungen zu schaffen?

Sabine Rath: Wir müssen unsere Arbeitswelt auf jeden Fall neu denken. Weg von der ausschließlichen Perspektive des Profits hin zu Planet, People und dann erst Profit. Dazu gehören flexible Arbeitszeiten, Homeoffice-Möglichkeiten, eine stärkere Förderung von Väterbeteiligung bei der Kindererziehung und ein Ausbau der Kinderbetreuungsangebote, inklusive Ganztagsschulen. Wir brauchen transparente Beförderungs- und Vergütungsrichtlinien, die fair ablaufen und niemanden diskriminieren. Zudem müssen Care-Arbeit und Teilzeitarbeit finanziell und sozial besser abgesichert werden. Auch gesetzliche Regelungen, die Eltern vor Diskriminierung am Arbeitsplatz schützen, sind notwendig. Darüber hinaus muss die Politik Anreize für alle Familienmodelle in Deutschland schaffen, also auch für alleinerziehende oder unverheiratete Paare mit Kindern. Sowie Anreize für Unternehmen, damit diese familienfreundliche Strukturen implementieren und diese auch konsequent leben.

WirtschaftsKRAFT: Viele Mütter fühlen sich durch den gesellschaftlichen Druck und die Erwartungen, die an sie gestellt werden, überfordert. Welche Ratschläge oder Strategien haben Sie, um mit diesem Druck umzugehen und sich selbst nicht ständig zu optimieren?

Sabine Rath: Der erste Schritt, der mir selbst sehr geholfen hat, ist das Akzeptieren der Sachlage: It’s not you – it’s the System. Es fehlen viele Rahmenbedingungen, die uns Müttern das Thema Vereinbarkeit ermöglichen würden. Dieses Wissen hat mir eine große Last von den Schultern genommen, vor allem aber das Gefühl, dafür alleinverantwortlich zu sein. Denn das sind wir nicht. Kinder sind die Zukunft unserer Gesellschaft und somit sind wir alle – egal ob Elternteil oder nicht – verantwortlich in unserer Gesellschaft gute Rahmenbedingungen für Eltern, insbesondere Mütter zu gestalten.

Anstatt also weiterhin an Müttern und ihrer Selbstoptimierung herumzubasteln, sollten wir diese Energie besser in den Ausbau von hochqualitativer Kinderbetreuung, sowie der Flexibilisierung der Arbeitszeiten und -orte stecken.

WirtschaftsKRAFT: Wie können wir als Gesellschaft das Bewusstsein dafür schärfen, dass das Thema Vereinbarkeit nicht nur ein Mütter-Problem ist, sondern ein zentraler Motor und die Zukunft unserer Wirtschaft?

Sabine Rath: Es ist wichtig, das Narrativ zu ändern: Vereinbarkeit ist kein „Frauenthema“, sondern betrifft uns alle, weil sie die Grundlage für eine nachhaltige Wirtschaft und eine funktionierende Gesellschaft bildet. Die Last der Care-Arbeit und der Erwerbsarbeit muss gerecht auf alle Schultern verteilt werden, egal ob Elternteil oder nicht. Eine gesamtgesellschaftliche Diskussion über die Wertschätzung von Care-Arbeit und die damit verbundenen Herausforderungen ist entscheidend. Denn Kinder sind wunderbar wertvoll und die Zukunft unserer Volkswirtschaft. Um so wichtiger also, dass wir alle an einem Strang ziehen.

WirtschaftsKRAFT: Abschließend, welche Rolle können dabei Medien, Bildungseinrichtungen und Unternehmen spielen?

Sabine Rath: Medien können das Bewusstsein schärfen, indem sie realistische Bilder von Elternschaft und Vereinbarkeit zeigen und Themen wie die Motherhood Penalty oder die Bedeutung von Care-Arbeit wesentlich stärker in den Fokus rücken. Bildungseinrichtungen sollten bereits früh ansetzen und Kindern und Jugendlichen gleichberechtigte Rollenbilder vermitteln sowie die Bedeutung von Care-Arbeit im Lehrplan verankern. Unternehmen haben eine zentrale Rolle, indem sie familienfreundliche Arbeitsbedingungen schaffen, faire Lohnstrukturen haben, Gleichstellung fördern und Väter ebenso wie Mütter in der Elternrolle unterstützen. Sie können zudem durch transparente und lebensphasenorientierte Karrierewege und die gezielte Förderung von Müttern eine Vorreiterrolle einnehmen und so einen Kulturwandel anstoßen.

tm / mm

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