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Oliver Reitz

Direktor des Eigenbetriebs Wirtschaft und Stadtmarketing Pforzheim (WSP)

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"Der Busbranche geht es so schlecht wie noch nie"

Erst die Corona-Pandemie und jetzt die extrem hohen Spritkosten, die Busunternehmen in Baden-Württemberg leiden. "Der Branche geht es sicherlich so schlecht wie noch nie", sagt Viktoria Müller Geschäftsführerin von Müller Reisen in Pforzheim.
Die hohen Spritpreise setzen Busunternehmen in Baden-Württemberg unter Druck. Foto: Müller Reisen GmbH & Co KG

von Tanja Meckler

Das Land Baden-Württemberg hat der gebeutelten Busbranche schnelle Hilfen zugesagt. Dafür wird die Auszahlung von gut 180 Millionen Euro aus dem öffentlichen Personen-Nahverkehr (ÖPNV-) Rettungsschirm und weiterer Fördermittel vorgezogen. Aus den Rettungsschirm-Mitteln sollen in den kommenden Tagen vorab gut 120 Millionen Euro überwiesen werden. Hinzu kämen knapp 60 Millionen Euro Vorwegzahlung von Mitteln nach dem ÖPNV-Gesetz an die kommunalen Aufgabenträger. So könne die Liquidität der Betriebe für die kommenden Monate gesichert werden. Das teilte Verkehrsminister Winfried Hermann (MdL), am Mittwoch, den 16. März 2022 nach einem Krisengipfel mit Vertreterinnen und Vertretern der Branche und der Kommunalverbände mit.

Wir brauchen einen erweiterten und verlängerten Rettungsschirm und deutlich höhere Regionalisierungsmittel vom Bund. Die meist kleinen und mittelständischen Busunternehmen sind das Rückgrat des öffentlichen Verkehrs in ländlichen Regionen. Ihre täglichen Leistungen im Linienverkehr sind ein wichtiger Beitrag für die Verkehrswende hin zu einer klimaschonenden Mobilität. Deshalb sind wir bereit, sie durch eine vorgezogene Auszahlung von ÖPNV-Fördermitteln zu stabilisieren. Nun müssten auch die Stadt- und Landkreise als Aufgabenträger im Busverkehr ihren Anteil für Unterstützung der Busbranche bringen.

Winfried Herrmann, Verkehrsminister Baden-Württemberg

Viktoria Müller hat als erste Frau in ihrer Familie den Busführerschein erworben. Heute leitet die 32-Jährige, in vierter Generation, die Geschicke von Müller Reisen, mit Sitz in Birkenfeld, nahe Pforzheim. Personenbeförderung hat sie stets mit Freude erfüllt, doch die aktuelle Lage lässt sie sehr ernst und nachdenklich werden.

Viktoria Müller, immer gewappnet für einen spontanen Einsatz mit dem Omnibus. Foto: Stephanie Morlock Fotografie

WirtschaftsKRAFT: Frau Müller, wie würden Sie die aktuelle Situation der Busunternehmen beschreiben?

Viktoria Müller: Nicht nur kämpfen die Busunternehmen Land auf, Land ab mit den massiven Einbußen der Corona -Pandemie durch gesunkene Fahrgastzahlen, Busreiseverbote, höhere Ausgaben für Corona-Schutzmaßnahmen, schwächelnde Nachfrage nach Busreisen und gestiegenen Fahrpersonalkosten durch neue, verfehlte Tarifabschlüsse. Nun kommt auch noch die Dramatik der gestiegenen Treibstoffkosten hinzu. Und das für eine Branche, die ohnehin durch magere Vergütungssätze im öffentlichen Personennahverkehr keine großen finanziellen Rücklagen bilden kann. Kurzum: der Branche geht es sicherlich so schlecht wie noch nie. Derzeit sind kurzfristige Hilfsmaßnahmen durch vorgezogene Ausschüttung von ohnehin vertraglich bewilligten Geldern der Aufgabenträger im Gespräch, nur fehlen diese Gelder dann eben am Jahresende. Und wer weiß schon wann und ob sich die Kosten wieder reduzieren.

WirtschaftsKRAFT: Wie schnell rechnen Sie mit den zugesagten Hilfen?

Viktoria Müller: Erfahrungsgemäß schlagen sich politische Willenserklärungen nur langsam in konkreten Maßnahmen nieder. Angekündigte Hilfe ist wichtig und richtig, um einen verlässlichen ÖPNV jetzt akut aufrecht zu erhalten. Eine echte Lösung der grundlegenden Problematik der über europaweite Ausschreibungen organisierten Linienverkehre, bei denen immer nur der billigste Bieter den Zuschlag erhält und bei denen Preiskalkulationen für einen immens langen Zeitraum abgegeben werden müssen, ist dies leider nicht. Wenn der öffentliche Personennahverkehr zur Verkehrswende beitragen soll, wie dies immer politisch verkündet wird, dann muss in Zukunft schlichtweg ein anderes Finanzierungs- bzw. Ausschreibungskonzept her. Sonst werden die Betreiber in Zukunft bei der kleinsten Unvorhergesehenheit immer wieder um finanzielle Unterstützung bei den Aufgabenträgern und dem Land anklopfen müssen.

WirtschaftsKRAFT: Mit was für Konsequenzen müssen Busunternehmen derzeit rechnen?

Viktoria Müller: Da sich die Treibstoffkosten so rasant nach oben entwickelt haben, bekommen Busunternehmen, die weiterhin die volle Leistung im ÖPNV erbringen müssen unweigerlich Liquiditätsprobleme. Dies kann im schlechtesten Fall zur Einstellung und Rückgabe von Linienverkehrskonzessionen führen, somit Ausfall von Busverbindungen, die nicht kurzfristig von anderen Unternehmen aufgefangen werden können. Bleiben die Kosten anhaltend ungedeckt, werden auch Busunternehmen zur Aufgabe gezwungen sein. Bereits seit einigen Jahren und durch die vorangegangene Erklärung der „Ausschreibungsnebenwirkungen“ ist zu beobachten, dass der ÖPNV schleichend re-kommunalisiert wird, sprich von privaten Anbietern zu kommunalen Betreibern wechselt, da diese bei anhaltenden Verlusten nicht „Pleite gehen“, sondern durch Steuergelder aufgefangen werden. Ob dies dem ÖPNV, den vielen mittelständischen Verkehrsbetrieben und insbesondere dem Fahrgast nützt, ist mehr als fraglich.

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