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Oliver Reitz

Direktor des Eigenbetriebs Wirtschaft und Stadtmarketing Pforzheim (WSP)

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Pforzheimer IT-Unternehmer Carsten Kraus kauft seinem Auszubildenden einen Omnichannel-Handel als „berufliche Spielwiese“

Das Berufsbild Kaufmann und Kauffrau im E-Commerce ist relativ jung. Nicht jedes Unternehmen kann den Auszubildenden das komplette Equipment für die praktische Umsetzung des Erlernten bieten. Für das Pforzheimer IT-Urgestein Carsten Kraus kein Problem. Er hat mit dem „Kräuterhaus Hamburg“ einen Shop für „Übungszwecke“ gekauft.
Immer für kreative Ideen und Überraschungen gut: Der Pforzheimer IT-Unternehmer und KI-Experte Carsten Kraus. ©BertholdSteinhilber

Von Gerd Lache | 08.05.2021

Wenn es um das Wohlbefinden der Beschäftigten geht, war Carsten Kraus nie knauserig. In den Pforzheimer Omikron-Firmenräumen stehen zum Beispiel ein Flügel und ein Tischkicker zur Entspannung zwischen der Arbeit mit den Algorithmen. Unlängst hat der IT-Unternehmer noch eins drauf gesetzt. Für einen Auszubildenden hat er kurzerhand zu Übungszwecken ein traditionsbehaftetes Einzelhandelsgeschäft gekauft.

Das Kräuterhaus Hamburg ist im Omnichannel-Segment aktiv. Und genau ein Online-Geschäft braucht’s, wenn Thomas Maile seine Ausbildung zum Kaufmann im E-Commerce erfolgreich absolvieren will. Das Berufsbild ist mit dem Hype der Plattformökonomie geschaffen worden. „Mit dem maßgeschneiderten dualen Ausbildungsberuf Kaufmann/Kauffrau im  E-Commerce bieten wir eine kaufmännische Qualifikation an, die eine solide und breite Basis für den Fachkräftenachwuchs legt“, sagt Günter Brecht, Teamleiter Ausbildung der Industrie- und Handelskammer (IHK) Nordschwarzwald. Der Pforzheimer Versender Klingel und der Beschläge-Spezialist Häfele aus Nagold beispielsweise haben schon früh in diesem Bereich junge Menschen ausgebildet.

„Bisher hatte die Firma Omikron nichts eigenes für diesen Ausbildungsberuf“, sagt Thomas Maile, 1998 im Stuttgarter Raum geboren, Abitur und einjähriges Mathe-Studium und jetzt bei Omikron als Lehrling angeheuert. Vieles von dem, was er für seine Ausbildung brauche, konnte früher im Unternehmen nicht abgebildet werden. „Deshalb ist es ideal, dass der Carsten das Kräuterhaus gekauft hat. Ich kann jetzt alles gleich praktisch anwenden und ausprobieren, was ich im Zuge meiner theoretischen Ausbildung lerne“, sagt Maile. Das Schöne für ihn an der Betreuung eines Online-Shops sei die örtliche Unabhängigkeit. „Ich arbeite hier in Pforzheim für das weit entfernte Kräuterhaus in Hamburg.“

Mit der ausschließlich virtuellen Arbeit aus der Ferne für den digitalen Kräuter-Shop ist es allerdings nicht getan. „Ein Teil meiner Ausbildung wird auch tatsächlich vor Ort in Hamburg stattfinden müssen.“ Angesichts der Corona-Pandemie allerdings ein schwieriges Unterfangen.

Mehr als 600 Tees, Gewürze und Kräuter können im „Kräuterhaus Hamburg“ stationär oder online gekauft werden. ©Kräuterhaus

Omikron-Gründer Carsten Kraus hat einst mit FACT-Finder ein Tool für Online-Shops geschaffen. Die Software ist im europäischen Raum erfolgreich am Markt unterwegs und hat sich in dieser Zeit nach Unternehmensangaben zu einer der ersten Adressen im europäischen E-Commerce entwickelt. Mehr als 1.800 Online-Shops, darunter 40 der deutschen Top100, lassen die Suchanfragen ihrer Kundschaft mit den Algorithmen von FACT-Finder bearbeiten. Eingetippte Schreibfehler oder ungenaue Produktbezeichnungen der User bringen die „intelligente“ Software nicht aus dem Konzept. Das bedeutet: Der Besucher des Online-Shops erhält auf jeden Fall ein Ergebnis seiner Suchanfrage.

Nach nunmehr rund 20 Jahren hat sich Kraus von seiner Erfolgssoftware zurück gezogen. „Ich bin mehrheitlich aus FACT-Finder ausgestiegen und dort nicht mehr operativ tätig“, erklärt Kraus. Die Hamburger Unternehmer-Gruppe Genui ist bei FACT-Finder eingestiegen. Mit Emile Bloemen übernahm ein ausgewiesener Experte der IT-Branche die Geschäftsführung. Er soll das Unternehmen global aufstellen (siehe dazu separaten Bericht in diesem Magazin: „Unternehmer-Gruppe GENUI steigt mit ehrgeizigen Plänen beim eCommerce-Marktführer „Fact-Finder“ ein…“).

https://wirtschaftskraft.de/artikel/unternehmer-gruppe-genui-steigt-mit-ehrgeizigen-plaenen-beim-ecommerce-markfuehrer-fact-finder-ein-gruender-carsten-kraus-zieht-sich-zurueck

Carsten Kraus, unter anderem seit langem als gefragter Vortragsredner und Interviewpartner in Sachen KI unterwegs, will sich seinen anderen Projekten und Firmen widmen. Dazu zählt beispielsweise die Entwicklung und Marktdurchdringung der Augenerkennungssoftware „Casablanca.AI“, die mithilfe künstlicher Intelligenz bei Online-Meetings den Blickkontakt hält.

Der Auszubildende Thomas Maile darf sich im Online-Shop des „Kräuterhaus Hamburg“ beruflich austoben. ©Omikron

Der Auszubildende Thomas Maile sei zu zwei Dritteln bei FACT-Finder angestellt und werde auch nach dem Rückzug von Kraus den Hamburger Online-Shop betreuen.  Für Kraus hat der Erwerb des „Kräuterhaus Hamburg“ neben der „beruflichen Spielwiese für den Lehrling“ noch einen weiteren wesentlichen Effekt: „Wir haben nun die Möglichkeit, unsere Software-Entwicklungen im eigenen Unternehmen zu testen und weiter zu verbessern.“

Aktuell ist Thomas Maile damit befasst, das Kräuterhaus auf ein neues, modernes Shopsystem zu migrieren. Außerdem will er als eines der Hauptziele mehr Traffic auf die Website bekommen. Und wie? „Ich konzentriere mich dabei auf das Thema SEO“ – die Abkürzung für das englische Search Engine Optimization, ins Deutsche als  Suchmaschinenoptimierung übersetzt. Da der FACT-Finder in den Shop integriert sei, so Maile „gab es bei Kräuterhaus bereits in den ersten Wochen ein Uplift von rund zehn Prozent“.

Und wie kam Carsten Kraus im badischen Pforzheim dazu, ausgerechnet einen Kräuterladen im hohen Norden zu kaufen? Er kenne das Geschäft in Hamburg seit Jahrzehnten durch private persönliche Beziehungen. Es habe schon länger Überlegungen gegeben, dieses mehr als 100 Jahre alte Hamburger Kulturgut zu erwerben. Aktuell sind rund zehn Beschäftigte in Lager, Verkauf und Versand tätig.

Der Auszubildende Maile schwärmt von der Atmosphäre des stationären Geschäfts in der Hansestadt, das auch in das Programm kulinarischer Stadtführungen eingebunden sei. „Schon vor dem Laden wird man vom angenehmen Duft der über 600 Tees, Gewürze und Kräuter empfangen“, schildert Maile. Sehr schade, findet er, „dass ich die herrlichen Gerüche nicht in den Online-Shop einbauen kann“.

https://kraeuterhaus.net


Neue Produkte in den Online-Shop einzupflegen ist eine der Aufgaben der E-Commerce-Kaufleute. ©StartupStock

Was machen E-Commerce-Kaufleute?

Der Online-Handel boomt und hat mit der Corona-Pandemie noch einmal einen deutlichen Schub bekommen, wie aktuelle Zahlen belegen. Die Ausbildung zum Kaufmann beziehungsweise zur Kauffrau im E-Commerce wird demnach als zukunftsorientiert bezeichnet. Was die Aufgaben im Einzelnen sind, nennt die Website Ausbildung.de.

Online-Shops aufbauen: Die Auswahl des richtigen Sortiments ist eine der wichtigsten Aufgaben. Welche Shop-Software will man verwenden? Wie und wo werden die Waren gelagert? Wie findet der Versand statt? Der Kaufmann im E-Commerce weiß, was es online und offline zu beachten gibt.

Produkte einpflegen: Zu den Aufgaben gehört auch, neue Produkte in den Online-Shop einzupflegen. Hierfür wird ein neues Produkt angelegt, die erstellten Bilder und Texte hochgeladen und der Preis festgelegt.

Kennzahlen analysieren:  Werbemaßnahmen müssen angepasst, Bilder ausgetauscht oder Strategien verändert werden. Welche das sind, entscheidet der Kaufmann im E-Commerce anhand seiner Analysen. Ziele sind unter anderem: Kaufabbrüche und Retouren minimieren.

Rechnungen bearbeiten: Auch klassische kaufmännische Aufgaben wie die Buchführung gehören  zum Arbeitsalltag. Ebenso das as Erstellen von Eingangs- und Ausgangsrechnungen, das Schreiben von Angeboten oder das Überprüfen der Geschäftskonten.

Marketing-Maßnahmen entwickeln: Gemeinsam mit dem Online-Marketing erstellen Kaufleute im E-Commerce Werbeanzeigen und platzieren sie dort, wo sie von der Zielgruppe des jeweiligen Shops gesehen – und im besten Fall auch geklickt ­– werden.

Kundenkontakt pflegen: Genau wie im stationären Handel, hat ein Kaufmann im E-Commerce Kontakt zu seinen Kunden – nur eben online oder am Telefon. Er berät sie bei Problemen zum Bestellvorgang, der Retournierung oder bei Reklamationen. (gel)

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