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Oliver Reitz

Direktor des Eigenbetriebs Wirtschaft und Stadtmarketing Pforzheim (WSP)

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Natascha Zeljko: Wie nach 20 Jahren Verlagskarriere der Umstieg in die Digitalszene gelingt

Nach fast 20 Jahren Verlagskarriere wagte die in Mühlacker geborene Natascha Zeljko vor viereinhalb Jahren den Schritt ins Unternehmertum. Zuvor war sie 13 Jahre lang bei dem Frauenmagazin "myself" tätig. Zuletzt als stellvertretende Chefredakteurin. Es folgte eine sehr steile Lernkurve. Bereut hat sie ihre berufliche Zäsur nicht. Inzwischen hat sie sogar nochmal mitgegründet und ihre Leidenschaft für die Kreislaufwirtschaft entdeckt.
Natascha Zeljko entdeckte mit 46 Jahren die Unternehmerin in sich und wagte den Sprung. Foto: Veronika Kinczli/hw.design

Archivartikel (21.02.2023)

"An all diejenigen, die denken, bei so einer Unternehmensgründung sei auch eine Hängematte involviert: ihr liegt falsch. Für alle, die so etwas aufbauen, ist das richtig harte Arbeit."
Natascha Zeljko, Mitgründerin F10 und CURAZE

von Tanja Meckler

Wenn die Zentrifugalkraft einen aus dem Kosmos schleudert

Ich sah mit Anfang, Mitte 40 in der Verlagsbranche keine langfristige Perspektive mehr für mich. Ich habe viele KollegInnen erlebt, die vielleicht 10, 15 Jahre älter waren und dann einfach rausgeschleudert wurden aus diesem Kosmos. Zu alt, zu teuer. Und das Dramatische war, es gab wenig Möglichkeiten, einen anderen adäquaten Job zu finden in der Branche. Diese Perspektivlosigkeit fand ich traurig.

Natascha Zeljko

Raus aus dem vermeintlich sicheren Hafen einer sicheren Festanstellung in der Verlagsbranche, rein in die Selbstständigkeit. Diese berufliche Zäsur vollzog die in Mühlacker geborene Natascha Zeljko mit 46 Jahren. GründerInnen sind oftmals schillernde Persönlichkeiten, deren Leben von außen betrachtet glamourös scheint, in Wirklichkeit ist es harte Arbeit. Das kann Natascha Zeljko nur unterstreichen. Ihren eigenen Weg ins Unternehmertum, für den es im Übrigen keinen Masterplan gab, bezeichnet sie selbst als bumpy road, also als holprige Straße. Bereut hat sie diesen Schritt bis heute (vier Jahre später) keinen Tag.

Für Natascha Zeljko ist Arbeit Therapie. Anfangen und Weitermachen, wenn Plan A scheitert nochmal aufstehen und es anders probieren. Beim Weitermachen lösen sich Knoten, davon ist sie überzeugt.

Blick in den Rückspiegel

Natascha Zeljko ist das Kind einer Einwanderfamilie. Ihre Eltern sind in den 60er Jahren aus dem ehemaligen Jugoslawien (heute Slowenien) eingewandert, ihr Bruder war damals vier Jahre alt. Natascha ist in Mühlacker geboren und aufgewachsen. Ihr Abitur hat sie am Theodor-Heuss-Gymnasium gemacht. Als junges Mädchen spielte sie Volleyball und war eine passionierte Leserin. In einem Interview erzählte sie einmal, sie hätte damals fast die ganze Stadtbücherei leer gelesen. Heute ist sie leidenschaftliche Podcasthörerin, das Lesen kommt aktuell etwas zu kurz. Das Erwachsenwerden in den 1980er Jahren in Mühlacker empfand sie oft als eng. Dennoch gab es in dieser Enge auch einiges Gutes. Zum Beispiel Erna Händle, eine großartige und großherzige Frau. Die fröhliche Rheinländerin war die Mutter des Arbeitgebers, bei dem Nataschas Vater angestellt war.

„Sie hat meiner Mutter zum Beispiel den Job im Labor im Krankenhaus vermittelt. Ich war auf den Geburtstagen ihrer Enkelin, die in meinem Alter war, eingeladen  in ihrem schönen alten Haus im Uhlandbau-Viertel in Mühlacker. Und sie hat mir mein erstes Buch in deutscher Sprache geschenkt: Pippi Langstrumpf. 😊 Meine Eltern standen bis zu ihrem Tod mit ihr in Kontakt und sind regelmäßig essen gegangen mit ihr.“

Nach dem Abitur ging es nach Paris, sie machte ein Praktikum in einem deutsch-französischen Kindergarten, studierte an der Sorbonne und führte regelmäßig die Hunde ihrer Gastfamilie aus am Champ de Mars, unter dem Eiffelturm. Danach stand ein Lehramtsstudium Deutsch/Französisch in München auf dem Plan. Nach zwei Semestern wusste sie aber, das ist nicht ihr Ding und sattelte auf Magister in Germanistik und Politikwissenschaften um.

Die berufliche Langstreckenläuferin

Natascha Zeljko war Teil der goldenen Zeiten in der Verlagsbranche. Sie schrieb für Corporates (Unternehmen) als ihre JournalistenkollegInnen darüber noch die Nase rümpften. Sie aber hatte Spaß daran, Magazine für Unternehmen zu konzipieren. Auch wenn die Tage hart und anstrengend waren. Eine 70-Stunden Woche war damals Anfang der 2000er keine Seltenheit. Sieben Jahre lang arbeitete sie für Journal International. Dann kam ein unerwarteter Anruf der damaligen Chefredakteurin von Condé Nast, die ein neues Frauenmagazin auf den Markt bringen wollte. Zwei Wochen lang nahm sich Zeljko für die Entscheidung Zeit. Heute noch ein Running Gag, schließlich gab es noch andere, die für die Stelle infrage kamen. Doch sie bekam den Job und wechselte zum Kiosktitel. Das Frauenmagazin „myself“ erschien erstmals im Sommer 2005. Die erste Auflage bestand aus 600 000 gedruckten Exemplaren. Der Claim lautet bis heute: „Myself macht Frauen stark.“ Und das seien nicht nur leere Worthülsen, sondern wird auch gelebt, erzählt Natascha Zeljko. Noch heute schwärmt sie über Lesestücke mit Tiefgang, die mehr zu bieten hätten, als den nächsten blöden Beauty-oder Diät-Tipp. 13 Jahre lang war sie für „myself“ tätig. Zuletzt als stellvertretende Chefredakteurin. Im Juli 2017 wurde „myself“ an die Funke-Mediengruppe verkauft, für Funke war dieser Schritt der Einstieg ins Segment der Lifestyle-Zeitschriften. Für ihre Eltern war eine sichere Festanstellung in einem renommierten Unternehmen ein hohes Gut und sie waren sehr glücklich, dass ihre beiden Kinder es geschafft hatten. Das Leben schien in trockenen Tüchern. Doch dann kam die digitale Transformation, die auch vor der Medienbranche nicht Halt machte. Von der einstigen Goldgräberstimmung war nichts mehr zu spüren. Die Zeiten, in denen die Anzeigenabteilung die Aufträge wie Goldbarren aus dem Faxgerät holte, die waren plötzlich vorbei. Da draußen fand und findet eine riesiger Wandel statt und die Medienbranche war darauf schlecht vorbereitet.

Gleichzeitig hatte Natascha Zeljko einen kleinen Bore-out (Pendant zu Burn-out). Sie war gestresst, weil es viel zu tun gab und gleichzeitig an einem Punkt, wo es nichts mehr dazuzulernen gab. Sie wollte sich selbst wieder challengen, Wissen wie ein Schwamm aufsaugen, eine Lernkurve haben. Und diese kam und sollte sehr steil werden.

Das Netzwerk ist die neue Rente

Natascha Zeljko verliebte sich in die Digitalszene. Sie war auf vielen Afterworks, hat eine Menge Leute getroffen, darunter auch viele GründerInnen, die nahbar waren und ihre Geschichten ehrlich, mit all ihren Höhen und Tiefen teilten. Es war wie ein Domino-Effekt, sie lernte immer mehr UnternehmerInnen kennen. Gleichzeitig verschaffte ihr Social Media Sichtbarkeit und hat ihr wertvolle Kontakte in das Netzwerk, das sie zu knüpfen begann, gespült. Dem berühmten Satz, das Netzwerk sei die neue Rente, kann sie viel abgewinnen. Denn ein Netzwerk liefert Möglichkeiten, viele Jobs werden in diesen informellen Netzwerken vergeben. Würde sie heute einen neuen Job suchen, es wäre ungleich leichter als noch vor vier Jahren.

Eine Strategie für ihre berufliche Karriere hatte Natascha Zeljko nie. Sie hat die Möglichkeiten, die sich boten, ergriffen. Sie hatte die Neugier und den Mut, den man benötigt, um sich weiterzuentwickeln. Und das Urvertrauen, dass Dinge gelingen. 

2018 bot sich ihr dann die Gelegenheit, mit zwei Co-Foundern die englischsprachige Online-Plattform F10 (FemaleOneZero) zu gründen. Kaum hatte sie zugesagt und beschlossen, die Verlagswelt hinter sich zu lassen, da klopfte das Leben nochmal an und stellte sie auf den Prüfstand. Gleich drei Angebote für eine Chefredaktion flatterten bei ihr ein. Sie sagte ab und ließ zudem eine hochdotierte Rentention-Prämie (Treuebonus in Form einer Einmalzahlung, Instrument um MitarbeiterInnen zu halten) liegen. Sie hatte sich entschieden. Ihren Schritt in die Selbstständigkeit finanzierte sie aus eigenen Mitteln, ohne Fremdinvestor.

F10 baut auf die drei Säulen Diversity, Female Empowerment und Digitalisierung. Themen, mit denen sich Zeljko stark identifizieren kann. Sie liebt es, Geschichten von Rolemodels zu erzählen und dadurch einen gesellschaftlichen Impact zu schaffen. Das Thema Vereinbarkeit für Mütter klammert sie bewusst aus. Frauen immer wieder mit diesem Thema zu verbinden, sei der falsche Weg, weil er veraltete Rollenmodelle noch weiter zementierte.

Vereinbarkeit klebt an Frauen wie Kaugummi

„Ich selbst habe keine Kinder. Ich habe um mich herum gesehen, wie schwer es Frauen gemacht wird. Selbst in so einem Umfeld, aus dem ich kam, einer Frauenredaktion. Da hieß es, nicht so viele Mütter einstellen, nicht so viele Teilzeitkräfte. Mich hat das wahnsinnig geärgert, weil ich dachte, wenn wir nicht solidarisch sind, wer soll sich denn dann solidarisieren? Es ist grundsätzlich etwas in Schieflage. Wir müssen das Thema Arbeiten und Familie und Carearbeit neu denken, da müssen wir mutiger werden. Die Nordics sind uns da um Einiges voraus, weil das Thema Vereinbarkeit ein Paar-Thema ist und es ganz normal ist, dass auch arbeitende Väter die Kinder aus der Kita abholen.“

Inzwischen ist Natascha Zeljko auch Mitgründerin des Start-ups CURAZE. Der Name ist eine Wortschöpfung aus to curate (kuratieren) und to amaze sb. (jemanden begeistern). CURAZE ist ein Innovationsnetzwerk, das sich zum Ziel gesetzt hat, Start-ups und Corporates durch verschiedene Formate miteinander zu vernetzen. Das Ziel ist, so dringend notwendige Innovationen in Deutschland voranzutreiben. FemaleOneZero (F10) fungiert dabei als Contentplattform von CURAZE bzw. CIRCULAZE (die Circular-Economy-Initiative von CURAZE). 2023 sollen die beiden Start-ups noch weiter miteinander verschmelzen.

In Circular Economy ist richtig viel Musik drin

Als Rückkopplung aus vielen Gesprächen mit UnternehmerInnen hat sich herausgestellt, dass viele das Thema Circular Economy (Kreislaufwirtschaft) umtreibt. Die Unternehmen wollen zirkulärer und resilienter werden. Klimawandel, geopolitische Krisen, Rohstoffmangel und Lieferengpässe, all das spielt eine Rolle. Das Thema Kreislaufwirtschaft hat dadurch ein neues Momentum. Deshalb haben Natascha Zeljko und ihr Co-Founder Claus Schuster das Thema Circular Economy im Frühjahr 2022 auch als Fokusthema für CURAZE identifiziert. Viele Start-ups entwickeln Lösungen, die Ressourcen schonen und in einen Kreislauf zurückgeben. So zum Beispiel auch traceless aus Hamburg. Eines der Top 20 Circular Start-ups, das Natascha Zeljko derzeit wirklich begeistert. Aus pflanzlichen Reststoffen entwickelt das Bioökonomie-Start-up biologisch abbaubare Materialien als Alternative zu herkömmlichem Plastik. Inzwischen spricht das Start-up schon mit den großen Unternehmen. So werden im Rahmen einer Pilotphase in der C&A Filiale in Hamburg Altona Textilhaken aus Einwegplastik durch Haken aus traceless ® Material ersetzt. Die Vision von CURAZE ist es, das „Davos“, also die führende Plattform für Kreislaufwirtschaft zu werden. Wie das mit Diversity und Female Empowerment zusammenpasst?

„Wir denken das Thema Diversity bei all unseren Aktivitäten mit. Es ist nicht nur wichtig, darüber zu sprechen, sondern auch danach zu handeln. Unsere Expertenjury von CIRCULAZE haben wir zum Beispiel paritätisch besetzt (50 % Frauen/50 % Männer) und die Top 20 der Circular Start-ups sind auch zur Hälfte female founded – dabei hatten wir keine Quote oder Ähnliches vorgegeben. Wenn man sich die Statistiken anschaut von weiblichen Gründungen, ist das schon bemerkenswert.“

Gut gelaunt verrät Natascha Zeljko, das vor kurzem ein Kooperationspartner zu ihr und ihrem Co-Founder Claus meinte: „Ihr seid schon ganz schön auffällig mit euren Aktivitäten. Für uns seid ihr sowas wie the new kids on the block.“ Das fand sie charmant. Wenn man on the block ist, dann geht was.

Im Herbst 2023 soll ein großes CIRCULAZE Festival stattfinden. Start-ups aus der ganzen Welt, Corporates, ExpertInnen und Talente aus den Top-Universitäten sollen sich dann treffen, sich austauschen und gemeinsame Projekte starten.

Da man bei einem Start-up auch der Maschinenraum ist und wirklich für alles zuständig ist, wartet auf Natascha Zeljko eine Menge Arbeit. Dabei hatte sie für 2023 einen Vorsatz gefasst. Eigentlich ist sie keine Freundin von klassischen Neujahrs-Vorsätzen, aber etwas hat sie sich doch vorgenommen: Mehr Pausen einlegen. Dabei unterstützen wird sie sicherlich ihr partner in crime: ihr Jagdhund Luke. Der muss ja zwischendurch einfach an die frische Luft.

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