Archivartikel (29.08.2023)

von Claudia Keller

Durch Höhen und Tiefen ans Ziel

Was im Ballett so harmonisch und leicht wirkt, ist eigentlich harte Arbeit. Balletttänzerinnen sind Hochleistungssportlerinnen, die ihrem Körper viel abverlangen, mitunter mehr als ihm guttut. Schon erstaunlich, dass sich der Ballettschuh seit Jahrhunderten nicht weiterentwickelt hat, gerade für den herausfordernden Spitzentanz. Diesen Gedanken verfolgte Sophia Lindner während ihres Studiums zur Industriedesignerin an der Hochschule für Gestaltung Pforzheim. Für ihre Bachelorarbeit im Jahr 2018 entwickelte sie einen völlig neuen Spitzenschuh und meldete ein Patent an. Spätestens die Resonanz auf ihren Vortrag beim internationalen Kongress der Tanzmedizin ließ sie diesen Weg weiterverfolgen, was schließlich zur Gründung des Unternehmens Act´ble GmbH mit Sitz in Karlsruhe führte. „Damals kamen viele auf mich zu und meinten: Endlich macht einmal jemand etwas“, erinnert sich Sophia Lindner.

Sophia Lindner, Gründerin von Act´ble , will die Ballettwelt ins 21. Jahrhundert befördern. Foto: Act´ble

Der flexible Ballettschuh, der im Spitzenstand eine stützende Blockierung bietet, wurde in Zusammenarbeit mit Profitänzerinnen entwickelt. Weil der Schuh die Muskulatur anders anspricht und präventiv wirkt, ist er sowohl für die Bühne als auch für das Training gut geeignet, nicht nur für Profis, sondern auch für Hobbytänzerinnen.

Der neu entwickelte Spitzenschuh von Act´ble unterstützt die Füße der Tänzerin. Foto: Act´ble

Veränderungen angestoßen

Lindner hat selber 14 Jahre lang Ballett getanzt und kennt den Zauber der klassischen Spitzenschuhe in rosa Satin. „Aber kein Zuschauer kennt die harte, brutale und oft auch blutige Realität“, erklärt die Gründerin. Die tanzenden Athletinnen müssen viel Schmerz und Leid in Kauf nehmen und riskieren körperliche Schäden sowie ein frühes Karriereende. „Es ist Teil unserer Mission, dass wir etwas ändern und die Tanzwelt ins 21. Jahrhundert befördern“, sagt Lindner.

Schwierige Zeiten

Nach der Gründung von Act´ble galt es Höhen und Tiefen zu durchschreiten. „Vielleicht ist es gut, wenn man das vorher noch nicht weiß und da etwas naiv hineingeht“, so ihre Einschätzung. Für das junge Unternehmen war die Coronazeit besonders herausfordernd, gerade weil das Produkt zu diesem Zeitpunkt noch nicht ganz fertig war und ein Produzent gesucht wurde. „Das war schon ein Rückschlag“, erinnert sich Linder an die langersehnte erste Lieferung, die von schlechter Qualität war. „Wir wollten mit 50 Profitänzerinnen das Produkt testen und konnten nicht liefern.“ Und so fertigte das Karlsruher Team in nächtelanger Handarbeit die Schuhe selbst. Glücklicherweise konnte inzwischen ein neuer, erfahrener Produzent in Portugal gewonnen werden. Dessen kürzlich erfolgte erste Lieferung wurde dem Qualitätsanspruch gerecht. Nun geht es endlich in die Opernhäuser zu sogenannten Fittings, bei denen Tänzerinnen den neuartigen Schuh ausprobieren können. Die Company des Thüringer Staatsballetts hat bereits bestellt.

Ob Bühne oder Training, der neuartige Spitzenschuh ist für Profis und Hobbytänzerinnen geeignet. Foto: Act´ble

Blick in die Zukunft

Da Ballettschuhe optisch mit der Tänzerin verschmelzen sollen, werden sie in Hautfarbe angeboten, auch um sich bewusst vom alten Symbol des rosa Spitzenschuhs zu unterscheiden. Verschiedene Hauttöne sollen noch dazukommen. Geplant ist außerdem, funktionelle Sportbekleidung anzubieten, die auch im Alltag getragen werden kann.

Aktuell ist das Act´ble Team auf fünf Köpfe angewachsen. „Durchhaltevermögen ist eine der wichtigsten Eigenschaften“, sagt sie und nennt außerdem die Fähigkeit, sich leidenschaftlich mit einem Thema auseinanderzusetzen. „Man braucht einen guten Grund, warum man das macht. Wenn es den gibt, dann kann man sehr lange durchhalten.“