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Oliver Reitz

Direktor des Eigenbetriebs Wirtschaft und Stadtmarketing Pforzheim (WSP)

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„Auf keinen Fall warten, bis es zu spät ist.“

Klingel, WISI, Merz + Renz und weitere: Zahlreiche – auch traditionsreiche – Unternehmen aus der Region mussten in jüngster Vergangenheit Insolvenz anmelden. Sind diese Fälle nur die Spitze des Eisbergs? Oliver Essig, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der IHK Nordschwarzwald, nennt im Interview Alarmsignale, erläutert rechtliche Hintergründe und zeigt Auswege aus der finanziellen Zwickmühle auf.
Oliver Essig, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der IHK Nordschwarzwald, weiß, wie Unternehmen der Insolvenzfalle entgehen können. Foto: Christian Roch

27.05.2024

IHK-Rechtsexperte Oliver Essig rät Unternehmen zu schnellem Handeln bei drohender Insolvenz

WirtschaftsKRAFT: Herr Essig, die Zahl der Firmeninsolvenzen in der Region scheint derzeit besonders groß. Wie stellt sich die Situation im Bereich der IHK Nordschwarzwald dar?

Oliver Essig: In der Tat hat das Thema Insolvenz in den letzten Monaten erheblich an Bedeutung gewonnen. Wir beraten unsere Mitgliedsunternehmen auch in rechtlichen Fragen, und da ist der Beratungsbedarf zur Insolvenz spürbar gestiegen. Wir sehen auch eine weitere Zunahme von Insolvenzen bei unseren Mitgliedsunternehmen.

WirtschaftsKRAFT: Gibt es Branchen oder Unternehmensgrößen, die besonders betroffen sind?

Oliver Essig: Wir erheben dazu keine gesonderten Zahlen, aber wir beobachten vermehrt Insolvenzen bei kleineren, inhabergeführten Industrie- und Handelsunternehmen. Viele Fälle fließen übrigens gar nicht in die Statistik ein, weil die Firmen das Handtuch werfen, bevor die Überschuldung da ist und vielleicht ein Insolvenzantrag gestellt werden muss.

WirtschaftsKRAFT: Spielen die Auswirkungen der Corona-Pandemie dabei noch eine Rolle?

Oliver Essig: Nein, das ist weitestgehend vorbei. Die Ursachen für eine Insolvenz sind vielfältig und reichen von Nachfragerückgängen über hohe Energie- oder Finanzierungskosten bis zu unverhältnismäßig hohem Bürokratieaufwand. Da unterscheidet sich die Region Nordschwarzwald übrigens kaum von anderen produktionsstarken Regionen in Deutschland.

WirtschaftsKRAFT: Woran erkenne ich als Unternehmer, dass meine Firma von einer Insolvenz bedroht ist?

Oliver Essig: Das auffälligste Alarmsignal ist meist ein länger andauernder Umsatzeinbruch. Leider machen vor allem Einzelunternehmer den Fehler, über längere Zeit privates Kapital oder gar die eigene Altersvorsorge einzusetzen, um betriebliche Verluste auszugleichen. Unternehmen sollten nicht warten, bis die Insolvenz unvermeidlich ist. Ein Insolvenzverfahren ist ja auch eine unangenehme Erfahrung, die Bonität und persönlichen Ruf negativ beeinflussen kann. Auch Gläubiger können durch eine Zahlungsunfähigkeit mit in den Abgrund gerissen werden.

WirtschaftsKRAFT: Angenommen, die Zahlungsunfähigkeit ist unvermeidlich. Wie läuft dann ein Insolvenzverfahren ab?

Oliver Essig: Das kommt auf die Rechtsform des Unternehmens an. Für Kapitalgesellschaften gelten andere Regeln als für Einzelunternehmen oder persönlich haftende Personengesellschaften. Für Kapitalgesellschaften gilt eine klare Insolvenzantragspflicht: Das Verfahren beginnt mit einem Insolvenzantrag beim Gericht, gefolgt von einem vorläufigen Insolvenzverfahren. Die weitere Vorgehensweise hängt vom spezifischen Fall ab. Da gibt es die Regelinsolvenz mit Insolvenzverwalter oder das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung. Welches Verfahren zur Anwendung kommt, hängt vor allem davon ab, ob eine Restrukturierung oder ein Forderungsverzicht der Gläubiger eine realistische Chance zur Fortführung des Unternehmens bietet.

WirtschaftsKRAFT: Welche Rolle spielt der Insolvenzverwalter in diesem Prozess?

Oliver Essig: Der Insolvenzverwalter übernimmt bei einer Regelinsolvenz die Kontrolle über das Unternehmen und koordiniert dann die weitere Vorgehensweise. Er ist dabei auf Unterstützung des Unternehmens angewiesen, weil er meist branchenfremd ist. Oft führt die Regelinsolvenz am Ende zur Zerschlagung des Unternehmens, weil sich kein Käufer findet oder weil zu viele wertvolle Mitarbeitende das Unternehmen verlassen haben.

WirtschaftsKRAFT: Manche Unternehmen durchlaufen ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung.
Welche Voraussetzungen müssen dabei erfüllt werden und welche Vorteile gibt es?

Oliver Essig: Ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung setzt Willen und günstige Rahmenbedingungen voraus, um das Unternehmen nach Abschluss des Verfahrens fortzuführen. Das Unternehmen kann sich unter Aufsicht eines Sachwalters und unter erleichterten Bedingungen, zum Beispiel beim Kündigungsschutz, selbst neu aufstellen. Diese aktive Rolle honorieren auch Kunden, Partner und Öffentlichkeit. Insofern ist ein Insolvenzverfahren in Eigenregie die „schönere“ Insolvenz. Auf jeden Fall bietet sie eine echte Chance zum Neuanfang.

WirtschaftsKRAFT: Gibt es auch „geplante“ Insolvenzen, um sich von lästigen, aber nicht existenzbedrohenden Schulden zu befreien?

Oliver Essig: Geplante Insolvenzen gibt es, aber sie sind selten und auch kein neues Phänomen. Sieht man sich vorurteilsfrei den Werkzeugkasten des Insolvenzrechts an, bietet dieser durchaus Möglichkeiten, um Verbindlichkeiten oder auch Arbeitskräfte recht kurzfristig loszuwerden. Aber klar gesagt: Solche Insolvenzen spielen zahlenmäßig keine Rolle.

WirtschaftsKRAFT: An wen können sich Unternehmen wenden, wenn sie in Schwierigkeiten geraten?

Oliver Essig: Wie bereits gesagt: Das Wichtigste ist, nicht zu warten, bis die Zahlungsunfähigkeit da ist. Steuerberater oder Rechtsanwälte, die mit dem Unternehmen vertraut sind, können frühzeitig auf Insolvenzrisiken hinweisen. Auch die IHK Nordschwarzwald bietet Mitgliedern rechtliche und betriebswirtschaftliche Beratung an. Wir schauen uns die Situation gemeinsam an, gehen ins Gespräch und geben unsere Einschätzung, ob wirtschaftlich etwas zu machen ist, ob vielleicht doch ein Insolvenzantrag gestellt werden sollte und welche rechtlichen Optionen sich anbieten.

WirtschaftsKRAFT: Wie ist Ihr Ausblick? Ist ein Wendepunkt bei den Insolvenzen in Sicht?

Oliver Essig: Eine Verbesserung der Lage sehe ich derzeit noch nicht. Die Konjunktur schwächelt, das Zinsniveau bleibt hoch, die Zukunftserwartungen sind verhalten. Damit Unternehmen wieder mehr investieren, müsste auch der Bürokratieabbau schneller vorangehen. Auf der positiven Seite haben die meisten betroffenen Unternehmen einen starken Willen zur Fortführung. Wenn sie frühzeitig reagieren und Entlastungsmöglichkeiten wie zum Beispiel Kurzarbeit nutzen, gewinnen sie Zeit, um ihre Finanzen mit fachlicher Unterstützung in Ordnung zu bringen. Wir bei der IHK Nordschwarzwald stehen unseren Mitgliedern hier gerne als kompetente Ansprechpartner zur Verfügung.

Das Interview führte Christian Roch

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