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Oliver Reitz

Direktor des Eigenbetriebs Wirtschaft und Stadtmarketing Pforzheim (WSP)

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Wie können Innenstädte lebendig bleiben, wenn der Handel wegbricht?

Es scheint schon fast zum guten Ton zu gehören, in Gesprächsrunden deutschen Innenstädten den nahen Tod zu bescheinigen. Das System Innenstadt scheint nicht mehr zu funktionieren.
Wie verdauen deutsche Innenstädte das Kaufhaus-Sterben? In Pforzheim muss man sich Gedanken machen, wie man den früheren Kundenmagneten Galeria Kaufhof sinnvoll und nachhaltig ersetzen kann, um die Innenstadt lebendig zu halten. Foto: Thomas Meyer/PZ

03.04.2023

Der Glanz der City verliert an Strahlkraft, wenn man darunter versteht, dass das Herz der Stadt, die Mitte des gesellschaftlichen Lebens, zwingend und eng mit dem Handel verbunden ist. Dass sich der Einzelhandel aus den Innenstädten zurückzieht, ist seit Jahren zu beobachten und nicht nur hohen, von kleinen Betrieben nicht mehr zu erwirtschaftenden Mieten und dem boomenden Onlinehandel geschuldet. Und der Trend setzt sich fort.

Gespenst von der leblosen Innenstadt mit leeren Schaufensterfronten

Das vermeintliche Sterben der Innenstadt schreitet weiter voran. Offenbar jetzt erst recht, wo Handelsgiganten ihre großen Kaufhäuser in der City schließen müssen. Jüngst traf es Städte mit Modetempeln von Peek & Cloppenburg, wie etwa Karlsruhe. Jetzt hört man allgemeines Wehklagen aus Kommunen mit Warenhäusern von Galeria Kaufhof wie etwa in Pforzheim.

Auch in der Goldstadt wird gerade das Gespenst der leblosen Innenstadt mit leeren Schaufensterfronten und einer brach liegenden Galeria-Kaufhof-Ruine in der City-Mitte heraufbeschworen. 1914 wurde hier das Warenhaus „Wronker“ gegründet, seit 1931 hieß es „Schocken“, danach „Merkur“, dann „Horten“ und jetzt scheint der Untergang der Kaufhaus-Geschichte mit dem Namen „Galeria Kaufhof“ verbunden zu sein. Die Rede ist vom Magneten Kaufhaus, der seine Anziehungskraft verloren habe und mit dessen Verschwinden auch die Besucher-/Kundenfrequenz in der City sinke. Eine schnelle Idee zur effektiven, nachhaltigen Wieder- oder Neubelebung scheint noch nicht geboren zu sein, auch wenn der Enzkreis schon den Kauf des Gebäudes verkündet hat, um darin ein Sozialrathaus mit Kunstgalerie und anderem mehr einzurichten. Leider war das nur ein Aprilscherz, der allerdings durchaus als Grundlage für weitere Umnutzungsdiskussionen gelten könnte.

Modehaus wird Sozialrathaus mit Supermarkt

Wenige Tage vor der Versendung der Fake-News aus dem Landratsamt des Enzkreises hat die Pforzheimer Stadtverwaltung nämlich verkündet, das seit Jahren leer stehende Gebäude des ehemaligen Modehauses Sinn-Leffers zu nutzen. Nach Abriss und Neubau soll hier das bislang auf zehn Standorte verteilte Jugend- und Sozialamt mit rund 270 Beschäftigten auf 4700 Quadratmeter reiner Bürofläche mit weiteren 2000 Quadratmeter Nutz- und Verkehrsflächen einziehen. Und: Wie es bei Sinn-Leffers der Fall war, soll auch wieder ein Edeka-Markt in den unteren Etagen des Neubaus einziehen. Betreiber soll Frank Berger werden, der bislang nur im ländlichen Raum im Pforzheimer Höhenstadtteil Huchenfeld und in den Enzkreis-Gemeinden Birkenfeld und Neuenbürg Edeka-Märkte führt. Die Zügel in der Hand hält in diesem Fall das kommunale Wohnungsunternehmen Stadtbau Pforzheim.

Günstige Mieten als Basis für Wiederbelebung der City

Der Mix aus Supermarkt und Verwaltungszentrum scheint ein die Innenstadt belebender Faktor zu sein. „Sie bekommen lebendige Innenstädte nur dann hin, wenn das Erdgeschoss in irgendeiner Weise der Allgemeinheit zugänglich ist. Die Städte müssten ein Eigentum an Grundstücken oder Immobilien haben. Überall, wo es das gibt und die Mieten entsprechend sind, funktioniert das. Sobald Investoren diese Flächen bewirtschaften, hat nicht einmal ein Kaffeehaus eine Chance. Solange man das nicht in den Griff bekommt, werden unsere Innenstädte immer weiter veröden“, hatte Professor Christoph Mäckler, Architekt, Stadtplaner und Gründer des Deutschen Instituts für Stadtbaukunst, jüngst in einem Interview mit Spiegel-Online erklärt.

Ist das Handeln, Wohnen und Arbeiten in der Innenstadt einfach unbezahlbar geworden? Ist das der Grund für das Dahinsiechen der City? „Es ist richtig, dass der Handel nicht mehr jeden Raum in den sogenannten 1a-Lagen einnimmt. Und es ist unverantwortlich, dass Nutzungen in den Obergeschossen unserer Städte nicht belebt werden können, nur weil sich in den Geschossen darunter Handel befindet und dort derart hohe Mieten erwirtschaftet werden, dass das Treppenhaus zur Erschließung der Obergeschosse zu viel wertvolle Fläche frisst“, schreibt Architekt Caspar Schmitz-Morkramer in einem Beitrag auf der Webseite der Deutschen BauZeitschrift (DBZ).

Neue Innenstädte müssen wieder bewohnbar werden

Für Mäckler ist die Innenstadt „meistens das historische Zentrum, in dem gewohnt, gearbeitet und eingekauft wird“. Inzwischen gibt es dort vom Verkehr befreite Fußgängerzonen, aber kaum noch dort wohnende Menschen. Auch Schmitz-Morkramer sieht unsere Städte als „kulturelles, soziales, religiöses und politisches Zentrum“, in dem die Menschen „vor allem Handel getrieben haben“. Und dieser Handel habe unterschiedliche soziale Gruppen, Kulturen und Regionen zusammengebracht.

Wie kann die City als ein großes Einkaufszentrum weiter bestehen? Oder ist das eigentlich der falsche Weg, wenn offenbar immer mehr Menschen das persönliche Einkaufserlebnis beim Einzelhandel nicht mehr vorfinden oder generell nicht mehr zu schätzen wissen, weil Onlinebestellungen weder an Ort noch an Uhrzeiten gebunden sind?

„Die Innenstädte machen sich auf, wieder vielfältiger, resilienter, klimagerechter und somit auch lebenswerter zu werden“, schreibt Schmitz-Morkramer für die DBZ. „Handel kann und wird ein wichtiger Baustein dieser Entwicklung sein“, ergänzt er, aber er wird nicht der einzige Baustein sein. „Da muss zurückgebaut werden. Da muss wieder gewohnt und gearbeitet werden, da muss es Restaurants geben, vielleicht Läden im Erdgeschoss, ansonsten aber eine gemischt genutzte Straße. Dann funktioniert das wieder“, sagt Mäckler.

Kommunales Wohnungsunternehmen kauft in Pforzheim wichtige Innenstadtgebäude

Wie hilft das deutschen Städten wie Pforzheim weiter, in denen gerade ein großes, aber leeres innerstädtisches Kaufhaus für den Abriss vorgesehen ist und ein weiteres, noch zentraleres und vielleicht bald leeres Kaufhaus noch keine Zukunftsperspektive hat? Die Stadt Pforzheim hat mit dem Großprojekt City Ost am östlichen Rand der Fußgängerzone einen Weg beschritten, der sich vielleicht als richtungsweisend darstellen könnte. Investor Ten Brinke will neuen Raum für Wohnen und Handeln schaffen. Das kommunale Wohnungsunternehmen Stadtbau Pforzheim hat das C&A-Gebäude im Bereich der östlichen Fußgängerzone, die Bebauung der Jägerpassage samt angrenzenden Häusern sowie die Gebäude Bahnhofstraße 4 und Leopoldstraße 7 gekauft. Dazu kommt jetzt noch das Ex-Modehaus Sinn-Leffers. Ganz im Sinne von Mäckler, der sich von der kommunalen Eigentümerschaft attraktivere Mietbedingungen und eine aktivere Belebung der Innenstadt verspricht.

Sinn-Leffers werde als „weiterer Mosaikstein“ dazu beitragen, „dass wir städtebaulich noch attraktiver werden und Leben in die Stadt hereinholen“, wird Pforzheims Oberbürgermeister Peter Boch in der „Pforzheimer Zeitung“ und auf PZ-news.de zitiert. Nur ein Dutzend Schritte vom früheren Modehaus entfernt liegt der ehemalige City-Magnet Galerie Kaufhof. Eine schnelle Lösung dürfte es hier wohl nicht geben. Das Modell Kaufhaus mit den riesigen Flächen ohne Tageslicht darf als Auslaufmodell gelten. Ein Umbau ist extrem schwierig. Um hier neue Handelsunternehmen anzusiedeln, bedarf es großer Anstrengungen und Investitionen. Obendrein sollte laut Mäckler und Schmitz-Morkramer dem Wohnen mehr Raum gegeben werden.

Werden die Pforzheimer in den nächsten Jahren mit einer Kaufhaus-Ruine in bester Innenstadtlage leben müssen? Dieser Frage müssen sich aktuell viele andere großen und auch kleineren Städte stellen, denn das Sterben der Warenhäuser alter Schule wird wohl weitergehen. Wer diese Umbruchsituation als Chance nutzt, kann wiederum dem Handel neue Chancen für den Erfolg in der Innenstadt geben.  

Thomas Kurtz

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