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Oliver Reitz

Direktor des Eigenbetriebs Wirtschaft und Stadtmarketing Pforzheim (WSP)

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VDA-Präsidentin Hildegard Müller im PZ-Interview: „Wir verlieren rasant die Wettbewerbsfähigkeit“

Hildegard Müller, Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie (VDA) besucht die Werkschau der Hochschule Pforzheim im CCP und wird dabei vom Bundestagsabgeordneten Gunther Krichbaum (CDU) begleitet, der sie für diesen Rundgang gewinnen konnte.
Hildegard Müller, Geschäftsführerin des Verbands Deutscher Automobilbauer (VDA) und Gunther Krichbaum Interview bei der Werkschau im CCP. Foto: Meyer

14.02.2024

"Wir brauchen jetzt Standortsignale, um zu zeigen, dass hier nicht nur die perfekte Vergangenheit war, sondern auch das Neue entstehen kann."
Hildegard Müller, VDA-Präsidentin

von Katharina Lindt

Kühn sehen die Modelle der Transportation-Design-Studenten aus: weg vom klassischen Lenkrad hin zu einem Rückzugsort, das an einen Kokon erinnert. So imaginieren die Designer, wie und in was wir uns in Zukunft fortbewegen werden. Diese Kreativität imponiert der obersten Autolobbyistin Deutschlands: Hildegard Müller. Die Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie (VDA) lässt es sich bei ihrem Besuch in Pforzheim trotz straffen Terminkalenders nicht nehmen, die Werkschau der Hochschule Pforzheim im CCP zu besuchen. Begleitet wird sie dabei vom Bundestagsabgeordneten Gunther Krichbaum (CDU), der sie für diesen Rundgang gewinnen konnte.

PZ: Kann sich Deutschland in Zukunft noch Automobilstandort nennen?

Hildegard Müller: Wir müssen unterscheiden: Sind wir wettbewerbsfähig, was die Ideen und die Kreativität angeht? Das sieht man nicht nur hier in der Schau sehr gut, sondern auch auf den internationalen Automobilausstellungen. Ich war Anfang des Jahres auf der CES, der Consumer Electronics Show, in Las Vegas, und das macht Mut. Auch die vergangene, sehr erfolgreiche IAA Mobility in München hat gezeigt: Die deutschen Unternehmen haben in der gesamten Wertschöpfungskette wirklich gute Produkte, Ideen und Lösungen, was Kreislaufwirtschaftsfragen, aber auch die CO2-Reduktion betrifft. Die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen ist vorhanden. Die Frage ist dann: Was bedeutet das für den Standort Deutschland und den Hochlauf der Elektromobilität? Und da sehen wir, dass sich diese beiden Dinge leider immer mehr entkoppeln.

PZ: Können Sie ein Beispiel geben?

Hildegard Müller: Ich habe letztens bei einem Treffen im Kanzleramt gesagt: Wir werden das Ziel von mehr als 15 Millionen Elektroautos bis 2030 erreichen. Aber ob wir sie hier bauen und ob wir sie hier verkaufen werden, wird immer mehr die entscheidende Frage sein. Wir merken, dass wir rasant die internationale Wettbewerbsfähigkeit verlieren. Man muss das leider so sagen. Die Standortbedingungen in Europa, speziell in Deutschland, sind oft nicht adäquat. Das betrifft Energiepreise, Bürokratie, Steuern, aber auch Einstellungen zur Digitalisierung. Gerade in diesem Bereich ist die Europäische Union oft sehr zögerlich, und das in einer Zeit, in der Geschwindigkeit entscheidend ist.

Im Gespräch: CDU-Bundestagsabgeordneter Gunther Krichbaum und VDA-Präsidentin Hildegard Müller. Foto: Meyer 

PZ: Sind also die Rahmenbedingungen schuld daran, dass Zulieferer wie ZF, Bosch und Continental Stellen streichen? Oder haben die Unternehmen schlicht ihre Hausaufgaben nicht gemacht?

Hildegard Müller: Nein, die Unternehmen sind sehr aktiv, aber wir stecken in einer gigantischen Transformation. Sie erwähnen richtigerweise die Zulieferer. Wer früher sehr viele Komponenten für Verbrenner produziert hat, muss natürlich jetzt umstellen und sich mit der Frage beschäftigen: Welche Komponenten sind im Bereich der Elektromobilität in Zukunft noch nötig? Gleichzeitig versuchen wir, unsere Mitarbeitenden weiterzubilden. Ich würde also in keinem Fall von Verschlafen sprechen. Was wir sehen, ist der Aufbau einer neuen Technologie und das Zurückführen von alten Technologien. Das ist noch nie ohne Verwerfungen abgelaufen.

Aber die Unternehmen investieren: 280 Milliarden Euro fließen bis 2028 in Forschung, Innovation, Digitalisierung und rund 130 Milliarden in den Umbau der Werke. Je mehr wir hier machen, umso mehr Wertschöpfung und umso mehr Arbeitsplätze entstehen am Ende. Deshalb brauchen wir jetzt Standortsignale, um zu zeigen, dass hier nicht nur die perfekte Vergangenheit war, sondern auch das Neue entstehen kann.

PZ: Das heißt, der Stellenabbau wird weiter voranschreiten?

Hildegard Müller: Wir haben in Deutschland rund 780 000 Beschäftigte in der Autoindustrie, gerade hier in Baden-Württemberg gibt es ganz starke Cluster auch aus kleinen und mittleren Unternehmen. Das ist mir besonders wichtig zu betonen, denn wir schauen immer nur auf die Großen.

Ein Student erklärt CDU-Politiker Gunther Krichbaum, Hildegard Müller, Hochschulrektor Ulrich Jautz und Professor Kurt Beyer (von links) sein Konzept. Foto: Meyer

Nun ist es Fakt, dass Verbrennermotoren viel vielfältiger sind als zum Beispiel Batterien und andere Antriebssysteme, die in der Elektromobilität stecken. Deshalb ist es wichtig, dass wir weltweit im Spiel bleiben, das heißt technologieoffen. Wir dürfen bei der Diskussion eins nicht vergessen: Neben den geplanten 15 Millionen Elektroautos werden wir 2030 immer noch rund 35 Millionen Pkws mit dem Verbrennungsmotor im Bestand haben.

Das heißt, wenn wir die Klimaziele im Verkehr erreichen wollen, müssen wir auch den Bestand mitdenken. Das ist einer der Gründe, warum wir das Thema synthetische Kraftstoffe so ernst nehmen. Hier sind viele deutsche Unternehmen führend.

PZ: Wenn E-Autos weniger Komponenten benötigen, sollten Zulieferer nicht doch andere Branchen für sich ins Auge fassen?

Hildegard Müller: Kleine und große Zulieferer machen oft schon mehr als nur Automotive. Kreativität und Offenheit zeichnen die deutsche Autoindustrie aus. Sie hat schon immer geschaut: Wo vermischen sich Branchengrenzen, wo gibt es neue Geschäftsmöglichkeiten? Ich bin zum Beispiel der Überzeugung, dass das Thema Daten ganz neue Geschäftsmodelle öffnen wird. Daten helfen uns heute schon, das Autofahren sicherer, komfortabler, autonomer zu machen. Warum also nicht bei neuen Geschäftsideen?

PZ: „Autopapst“ Ferdinand Dudenhöffer geht davon aus, dass deutsche Hersteller in Zukunft auf den Verbrennungsmotor setzen werden.

Hildegard Müller: Es wird verschiedene Märkte und verschiedene Lösungen geben. Hier in Europa ist der Weg ganz klar in Richtung Elektromobilität vorgegeben. Wir verpflichten uns ausdrücklich zum Klimaabkommen von Paris und zur klimaneutralen Mobilität bis 2050. Aber es wird auch Regionen in der Welt geben, die vielleicht diese Voraussetzungen so noch nicht haben. Deshalb ist es wichtig, den Verbrenner weiterzuentwickeln, weil diese Länder zum Beispiel noch kein stabiles Energienetz haben und die Infrastruktur erst aufbauen. Rund 70 Prozent der Arbeitsplätze der deutschen Autoindustrie hängen am Export.

Zum einen spricht niemand über den fossilen Verbrenner, dort gilt genauso die CO2-Neutralität und daher benötigen wir alternative Kraftstoffe. Zum anderen hätte ich gerne eine Industrie, die technologieoffen die besten Produkte auf den verschiedenen Märkten anbieten kann.

PZ: Welche Rolle spielt hier China: ein ernstzunehmender Konkurrent oder Scheinriese?

Hildegard Müller: Wir haben 1,4 Milliarden Chinesen. Dass sie daran interessiert sind, dass der Wohlstand in ihrem Land mit einer wachsenden Wirtschaft einhergeht, ist klar. Die Europäer haben nach dem Zweiten Weltkrieg selbst gesehen, wie wichtig es ist, dass eigene Unternehmen samt Arbeitsplätzen entstehen. Insofern werden natürlich auch chinesische Weltmarktunternehmen entstehen. Ich glaube aber trotzdem, dass die deutsche Automobilindustrie konkurrenzfähig ist, weil sie sich immer wieder neu erfunden hat und auch immer wieder neu erfinden wird.

Am Ende gilt es, die Konsumenten zu überzeugen. Das geht, wenn wir dies mit freien Zugängen zu Märkten, ohne wechselseitige Zölle oder das Ausschließen von Produkten, machen.

Ja, China ist eine ernstzunehmende Konkurrenz. Aber Wettbewerb ist für die Verbraucherinnen und Verbraucher erst mal eine gute Nachricht, weil sie mehrere Optionen haben.

Hildegard Müller, VDA-Präsidentin

PZ: Bei der Elektromobilität entscheidet neben der Batterie die Software über den Erfolg. Wo stehen deutsche Autohersteller?

Hildegard Müller: Wir reden uns da schlechter, als wir es sind. Wir sind zum Beispiel stark bei den Themen Sicherheit, Komfort und Leistungselektronik. Entscheidend sind auch die Kundenwünsche. Der Kunde in China hat eine ganz andere Erwartung an das Auto als wir in Europa. In China, wie ich es gelernt habe, ist das Auto ein Ort für „Me-Time“, also für „Ich-Zeit“: Wenn der Wohnraum begrenzt, der Arbeitsplatz voll ist, erledigen sie in ihrem Auto andere Dinge. Europäische Kunden legen viel mehr Wert auf Komfort und Sicherheit. Wenn wir in Zukunft autonom fahren, dann werden wir das Auto anders denken.

Im Übrigen: Beim autonomen Fahren ist etwa Mercedes in Kalifornien ganz vorne mit dabei. Wir können also mithalten. Entscheidend ist immer: Können wir diese Entwicklungen auch in Europa durchführen? Denn dort, wo Testbetriebe und Entwicklungszentren sind, befinden sich oft auch die Produktionsstätten.

PZ: Apropos Zukunft. Sie haben bei Ihrem Auftritt bei „Hart aber fair“ dem AfD-Politiker Leif-Erik Holm Paroli geboten, weil die Wirtschaftskonzepte seiner Partei rückwärtsgewandt sind.

Hildegard Müller: Die Frage, in welchem Land wir leben wollen, ist unsere Aufgabe zu beantworten; die können wir nicht abgeben. Insofern muss man Haltung zeigen. Wir als Autoindustrie sind bunt, wir sind vielfältig. Große Zeiten der Transformation bringen große Sorgen mit sich – das verunsichert natürlich die Menschen. Besseres Regieren wäre hilfreich, um Orientierung zu bieten. Aber Populisten greifen genau diese Ängste auf und verstärken sie.

Man muss sich die Mühe machen, und sich mit dem Programm der AfD oder des Bündnisses Sahra Wagenknecht auseinandersetzen. Beide haben keine tragfähigen Lösungen, das kann man anhand von Zahlen, Daten und Fakten nachweisen.

PZ: Wie wirkt sich das Erstarken der Populisten auf die Industrie aus?

Hildegard Müller: Die Menschen im Ausland nehmen die Entwicklung wahr, gerade wenn es um Investitionsentscheidungen geht. Sie fragen: Was ist denn da los bei euch? Ich beruhige sie dann immer: Es gibt hier eine stabile Zivilgesellschaft und eine starke demokratische Tradition. Aber überall auf der Welt werden Fachkräfte gesucht. Warum sollen sie ausgerechnet nach Deutschland kommen? Bei uns ist es schon nicht leicht, aus bürokratischen Gründen anzukommen. Und wenn sie dann solche Äußerungen hören, dann fühlen sich die Menschen abgeschreckt, zu uns zu kommen. Es ist also auch eine Frage der Wettbewerbsfähigkeit unseres Standortes.

PZ: Sie bleiben also optimistisch?

Hildegard Müller: Ich bin Rheinländerin (lacht). Wir haben so viele Potenziale, ich sehe das jeden Tag in den Unternehmen. Da gibt es viele Ideen in den Köpfen. Ich sehe auch jeden Tag, wie hoch das ehrenamtliche Engagement in Deutschland ist. Also, es lebt sich schon gut in diesem Land, und ich will und arbeite dafür, dass meine Tochter auch in Zukunft hier gut leben kann.

Zur Person

Hildegard Müller wurde 1967 in Rheine geboren. Nach einer Lehre zur Bankkauffrau bei der Dresdner Bank AG in Düsseldorf studierte sie Betriebswirtschaftslehre. Von 2002 bis 2005 war Müller Mitglied des Bundestags und von 2005 bis 2008 Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin. Sie war von 2008 bis 2016 Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft in Berlin. Nach der Station als Chief Operating Officer Grid & Infrastructure bei innogy SE ist sie nun seit 2020 Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie (VDA). 

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