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Oliver Reitz

Direktor des Eigenbetriebs Wirtschaft und Stadtmarketing Pforzheim (WSP)

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Annahita Esmailzadeh über Schubladendenken in der Wirtschaft

Das neue Buch von der bekannten IT-Managerin und Business-Influencerin Annahita Esmailzadeh kommt am 16. August 2023 in den Handel. Es heißt: "Von Quotenfrauen und alten weißen Männern Schluss mit Vorurteilen in der Arbeitswelt!" Das Ziel der Bestsellerautorin ist es, ein inklusives Klima ohne Schubladendenken in der Wirtschaft zu fördern. Über Schubladendenken ging es auch in unserem Interview.
Business Influencerin, Tech Leaderin und Bestsellerautorin Annahita Esmailzadeh. Ihr neues Buch kommt am 16. August 2023 in den Handel. Foto: Sapna Richter

Archivartikel 06.07.2023

von Tanja Meckler

„Seitdem ich denken kann, werde ich in Schubladen gesteckt. Ich bin also – auf unfreiwillige Art und Weise – eine Expertin auf diesem Gebiet geworden. Ich weiß also selbst, wie einschränkend Vorurteile sein können – auch für Karrieren von Menschen. Die Potenziale, die wir heben, indem wir Unconscious Bias im Business aktiv angehen, sind erheblich. Der Abbau von Vorurteilen ist vor allem für Arbeitgeber in Zeiten des Fachkräftemangels ein entscheidender Hebel. Ein derartiges Buch im Kontext der Arbeitswelt existierte dennoch noch nicht – das musste ich dringend ändern“, sagt Annahita Esmailzadeh.

Mit ihrem neuen Buch will sie die zentralen Voreingenommenheiten (Biases) offenlegen, die die Arbeitswelt auch heute noch prägen: vom Affinity-Bias, der dazu verleitet, Menschen einzustellen, die einem ähnlich sind, über den Attribution-Bias, durch den Einzelpersonen für systemimmanente Probleme verantwortlich gemacht werden, bis zum Gender Bias – der geschlechterbezogenen Stereotypisierung.
Annahita Esmailzadeh macht auch klar, was es Firmen kosten kann, wenn Befangenheiten vorherrschen. Für sie ist klar: Unternehmen, die zukunftsfähig bleiben wollen, müssen sich von althergebrachten Klischees verabschieden.

Billdquelle: campus Verlag

Von Quotenfrauen und alten, weißen Männern“ heißt Ihr neues Buch. Das klingt salopp formuliert nach Schubladendenken. Aber eigentlich geht es Ihnen darum Schubladen aufzubrechen, oder?

Annahita Esmailzadeh: Das haben Sie richtig erkannt. Das Klischee des ewigen gestrigen alten Mannes, der um jeden Preis das Patriarchat aufrechterhalten möchte, ist omnipräsent und genauso reduzierend und diskriminierend wie das Bild der pauschal unterqualifizierten Quotenfrau, die nur ihres Geschlechts wegen eingestellt wurde. Diesen Vorurteilen – und noch vielen mehr – gehe ich in meinem Buch intensiv auf den Grund.

Gibt es heute noch Schubladendenken in der Wirtschaft? Wie können wir dem entgegen wirken?

Annahita Esmailzadeh: Ja, so wie in sämtlichen Bereichen. Schubladendenken ist evolutionär bedingt fest in uns verankert und begleitet uns – in der Regel unbewusst – in unserem Alltag. Hierbei macht Schubladendenken auch vor der Wirtschaft keinen Halt. Vorurteile betreffen ebenso das Alter von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen wie auch ihr optisches Erscheinungsbild. Auch rund um Familienplanung und Erziehung ranken sich viele Geschlechterklischees und Rollenerwartungen: So wird Frauen im gebärfähigen Alter durchgehend ein Kinderwunsch unterstellt, auch wenn sie gar keine Kinder bekommen wollen oder können. Entsprechen Frauen dieser Erwartung und bekommen Kinder, können sie es der Gesellschaft wiederum auch nicht recht machen: Halten sie trotz Kind weiterhin an ihrer Karriere fest, werden sie als Rabenmütter abgestempelt, wohingegen ihnen fehlende berufliche Ambitionen unterstellt werden, wenn sie für die Familie im Job kürzertreten oder ihre Arbeitszeit reduzieren. Im Gegenzug entsprechen Männer nicht der gesellschaftlichen Rollenerwartung und werden mit Skepsis und Widerständen konfrontiert, falls sie eine längere Elternzeit nehmen oder gar längerfristig aufgrund der Erziehung ihrer Kinder beruflich zurücktreten möchten. Auch rund um die soziale und ethnische Herkunft von Menschen ist gesellschaftliches Schubladendenken weit verbreitet, das sich auch in der Arbeitswelt in Rassismus und Klassismus niederschlagen kann. Vorurteile in der Arbeitswelt haben nicht selten zur Konsequenz, dass Menschen Jobs gar nicht erst bekommen, ungerechtfertigte Leistungsbewertungen erhalten oder nicht entsprechend ihren Fähigkeiten, ihres Potenzials sowie ihrer Leistungen gefördert und befördert werden. Dies ist nicht nur für Betroffene verheerend, sondern auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht für Unternehmen schädlich.

Wir können dem entgegenwirken, indem wir zunächst Bewusstsein über die Thematik in Unternehmen schaffen und die Belegschaft sowie insbesondere Führungskräfte sensibilisieren. Ferner können konkrete Maßnahmen getroffen werden – wie etwa anonyme Feedbackkanäle, inklusive Stellenausschreibungen, standardisierte Bewertungskriterien oder auch eine Etablierung von Unternehmensnetzwerken für Minderheiten, um unbewusster Voreingenommenheit und Vorurteilen aktiv entgegenzutreten.

Fühlen Sie sich als Exotin in der Tech-Branche?

Annahita Esmailzadeh: Ja und nein. Ich arbeite glücklicherweise in einem sehr diversen Umfeld. Dennoch weiß ich, dass ich als junge Frau mit Migrationshintergrund als Führungskraft in einem Tech-Konzern nach wie vor eine Ausnahmeerscheinung bin. 

Wie divers ist unsere Wirtschaft in Deutschland heute?

Annahita Esmailzadeh: Wenn wir über Diversität sprechen, haben wir oft nur die Geschlechtsdimension im Blick. In den Topmanagementetagen der Wirtschaft finden wir allerdings über alle Diversitätsdimensionen kein sonderlich heterogenes Bild vor. Vorstandsetagen und Aufsichtsräte sind bis heute überwiegend mit heterosexuellen Männern über 50 Jahren besetzt, die oft vergleichbare akademische Werdegänge aufweisen und deren Biografien ähnlichen Mustern folgen. Hier zeigt sich der sogenannte Glasdeckeneffekt sehr deutlich. Dieser Effekt beschreibt das Phänomen, dass Angehörige bestimmter Gruppen nur schwer in höhere Managementpositionen aufsteigen können. Bildlich betrachtet stoßen sie ab einer gewissen Ebene gegen eine unsichtbare »gläserne« Decke, die sie am Aufstieg hindert.

Was ist der Sinn der Quote? Warum braucht es Sie?

Annahita Esmailzadeh: Wie ich eben schon sagte, sind die Top-Positionen in der Politik und Wirtschaft noch sehr männlich und homogen besetzt, wodurch auch der Blick auf die Welt männlich geprägt ist und auch Nachbesetzungen bevorzugt an Männer vergeben werden. Die Quote hilft dabei, qualifizierten Frauen die Türen zu öffnen, die ihnen sonst aufgrund traditioneller Machtstrukturen und männlich dominierter Buddy-Netzwerke mit hoher Wahrscheinlichkeit verschlossen bleiben würden. Der Sinn der Quote ist nicht, wahllos Frauen in Positionen zu heben, die sie nicht verdienen. Niemand pfeift aufgrund der Quote willkürlich unqualifizierten Frauen auf der Straße hinterher und fragt sie, ob sie denn zufällig Lust darauf hätten, einen Aufsichtsratsposten zu besetzen. Die Quote ist nüchtern betrachtet nichts anderes als ein Instrument, um einer unterrepräsentierten Bevölkerungsgruppe einen gleichberechtigteren Partizipationsanteil zu ermöglichen. Sie ist hierbei auch kein Garant für Vielfalt über alle Diversitätsdimensionen, denn auch wenn ein Vorstand paritätisch mit Frauen und Männern besetzt ist, ist er nicht unbedingt divers. Die Quote allein wird allerdings die Herausforderungen nicht lösen, die zum Status quo und zu der existierenden Ungleichheit geführt haben. Sie bleibt wirkungslos, wenn sich an den zugrunde liegenden Denkmustern und Stereotypen sowie an den bestehenden strukturellen Herausforderungen nichts ändert.

Was waren für Sie beim Schreiben wichtige Learnings?

Annahita Esmailzadeh: Im Rahmen des Schreibprozesses musste ich mich auch viel mit meinen eigenen Vorurteilen und Privilegien auseinandersetzen. Ein Kapitel meines Buchs behandelt die Vorurteile, die dicken Menschen begegnen. Das war für mich in der Recherche ein unglaublich augenöffnendes Kapitel, bei dem ich mir selbst sehr oft an die eigene Nase fassen musste, da mir meine Privilegien aufgrund meines vermeintlichen „Normal“-Gewichts nie wirklich bewusst waren.

Was würden Sie heute ihrem jüngeren Ich raten?

Annahita Esmailzadeh: Diese Frage wird mir sehr oft gestellt. Offen gesagt würde ich mir selbst raten, mich weiterhin zu trauen, Dinge zu wagen und zu scheitern. Denn vor allem aus meinen persönlichen Misserfolgen und Rückschlägen habe das meiste gelernt  

Über Annahita Esmailzadeh

Annahita Esmailzadeh ist Führungskraft bei Microsoft. Zuvor verantwortete sie den Innovationsbereich für das SAP Labs in München. Die mehrfach ausgezeichnete Wirtschaftsinformatikerin und Bestsellerautorin gehört zu den einflussreichsten Business-Influencerinnen und Keynote-Speakerinnen im DACH-Raum. Ihre Reichweite in den Medien und auf sozialen Netzwerken setzt sie für mehr Diversität und Inklusion sowie moderne Kultur- und Führungsansätze in der Arbeitswelt ein. Die »Diversity-Kämpferin« (brand eins Magazin) und »digitale Pionierin« (t3n Magazin) wurde vom Focus Magazin als eine der 100 Frauen des Jahres 2022 ausgezeichnet und erhielt die Europamedaille sowie den German Diversity Award.

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