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Oliver Reitz

Direktor des Eigenbetriebs Wirtschaft und Stadtmarketing Pforzheim (WSP)

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Mit agilen Schnellbooten den starren tradierten Unternehmensstrukturen entkommen - Innovationsbeschleuniger Start-up

Startups gelten als flexibel, reaktionsschnell und risikobehaftet. Im Gegensatz dazu tun sich etablierte Unternehmen mit ihren teils starren Strukturen und überlieferten Prozessen gelegentlich schwer damit, schnell zukunftsweisende Antworten auf bevorstehende Marktveränderungen zu geben. Wie lösen sie den Konflikt?
Matthias Altendorf steht seit 2014 an der Spitze von Endress + Hauser, dem weltweit führenden Anbieter von Messgeräten, Dienstleistungen und Lösungen für die industrielle Verfahrenstechnik. ©E+H

Von Gerd Lache | 08.03.2021

Wer keine Zeit für eine Zusammenarbeit mit Startups hat, hat offenbar keine Zeit für die Zukunft seines Unternehmens.
Achim Berg, Präsident des Digitalverbands Bitkom

Manche traditionellen Unternehmen gründen Corporate Startups, also Firmen-Eigengewächse, die Produkt- oder Prozess-Innovationen beschleunigt entwickeln sollen. Andere kooperieren mit externen Inkubatoren und Acceleratoren, beteiligen sich an deren Wertschöpfungsmodellen oder übernehmen sie vollständig. Nicht nur, aber insbesondere in der Digitalisierung haben diese agilen Innovations-Schnellboote eine hohe Bedeutung erhalten. Dennoch zeigen knapp zwei Drittel der Unternehmen den Startups die kalte Schulter, wie eine Untersuchung des Digitalverbands Bitkom ergeben hat.

Bei Endress+Hauser (Reinach, Schweiz) hat die Startup-Kultur hingegen lange Tradition. Nicht von ungefähr, denn „immerhin ist unser Unternehmen selbst aus einem Startup hervorgegangen“, sagt CEO Matthias Altendorf. Er steht seit 2014 an der Spitze des weltweit führenden Anbieters von Messgeräten, Dienstleistungen und Lösungen für die industrielle Verfahrenstechnik.

1953 gründen in Lörrach der Schweizer Ingenieur Georg H. Endress und der Deutsche Ludwig Hauser einen Kleinbetrieb im Wohnzimmer. Heute beschäftigt der die Endress+Hauser Gruppe –  die ihre familiengeprägte Firmen- und Führungsstruktur bewusst beibehalten hat –, mehr als 14.000 Mitarbeiter und weist einen Nettoumsatz von 2,6 Milliarden Euro aus. Und auch einige Tochterunternehmen sind laut CEO Altendorf „aus einem Nukleus von zwei, drei Personen teilweise zu Weltmarktführern herangewachsen“.

In das Entwickeln von innovativen Lösungen bezieht Endress+Hauser auch gelegentlich Start-ups mit ein. ©E+H

Bevorzugt Endress+Hauser das „hauseigene“ Corporate Startup oder die externe Lösung? „Das ist von der Situation und vom Ziel abhängig“, erklärt Altendorf. Grundsätzlich gehe es um zwei Stoßrichtungen: Entweder man wolle Technologie und Knowhow ins Unternehmen holen oder sich Marktzugang verschaffen.

Beispiel: In Berlin sei ein Unternehmen gegründet worden, das neue Wege im Online-Vertrieb erkunden sollte. „Da haben wir viel gelernt, insbesondere was das Schaffen von Kundennähe im virtuellen Raum betrifft“, sagt der CEO. Erkenntnisse und Erfahrungen seien in die Endress+Hauser-Website eingeflossen, die umfassende Shop-Funktionen biete. Noch bewegten sich die Online-Erlöse, gemessen am Gesamtumsatz, im niedrigen Prozentbereich. „Aber 2020, beschleunigt durch die Corona-Krise, hat sich das digitale Geschäft verdoppelt.“

Apropos Corona: Wie stark hat die Pandemie den Konzern erschüttert? „Es wird Spuren bei uns und unseren Kunden hinterlassen“, sagt Altendorf. Allerdings sei Endress+Hauser durch solides Wirtschaften gut aufgestellt. Unter anderem mit einer Eigenkapitalquote von 76 Prozent und dem Vertrauen der Gesellschafterfamilie sei man gegen derartige Situationen gewappnet.

Den Mitarbeitenden übermittelte der CEO in einer Videobotschaft Hoffnung: „Wir tun alles, um Beschäftigung zu sichern und Endress+Hauser gut durch diese Zeit zu bringen.“ Zeitweise arbeiteten gut 10.000 der knapp 14.000 Beschäftigten vom Homeoffice aus. Die Produktion lief weiter, Kunden wurden aus der Ferne betreut. Der frühe Einstieg in die Digitalisierung hat dem Firmenchef zufolge beim Krisenmanagement geholfen.

An der Universität Freiburg hat Endress+Hauser das Sensor Automation Lab aufgebaut. ©E+H

Weitere Startup-Beispiele: An der Universität Freiburg hat Endress+Hauser das Sensor Automation Lab aufgebaut. Ein Team von Wissenschaftlern, Forschern und Entwicklern soll dort an innovativen Sensortechnologien arbeiten. Es gehe es darum, „nach Ideen und Technologien zu suchen, die unsere Kunden in ein paar Jahren benötigen könnten“.

Aufgrund einer strategischen Entscheidung, wonach das Unternehmen verstärkt in die Analyse von Materialien und Stoffeigenschaften einsteigen will, wurden zudem verschiedene Firmen erworben. „Darunter sind ebenfalls Startups, die gute Technologien entwickelt und zur Marktreife gebracht haben.“

In welcher Form unterstützt das Mutterhaus die jungen, agilen Töchter? Die Finanzierung sei das eine, sagt der CEO. „Darüber hinaus können wir sie entlasten, indem wir bestimmte Funktionen unterstützen, sei es im Personalbereich oder mit der Buchhaltung.“ Was diesen Firmen mit ihren wegweisenden Technologien und Produkten oft helfe, sei die Unterstützung beim Marktzugang und der Industrialisierung. Die jahrzehntelange Erfahrung von Endress+Hauser, insbesondere in der Produktentwicklung und im Fertigungsbereich, ist Altendorf zufolge ein nicht zu unterschätzender Vorteil für die Startups. „Da können wir sehr viel Wissen einbringen. Den jungen Firmen erspart das eine Menge an Lernschmerz.“

Unterdessen macht der CEO deutlich: „Ebenso wichtig wie die Technologie ist für uns die Firmenkultur eines Startups, sie muss zu Endress+Hauser passen.“ Für den Erfolg sei es entscheidend, dass „nicht zwei Welten aufeinander prallen“. Sonst gebe es spätestens dann Probleme, wenn solch ein Unternehmen integriert werden soll. Deshalb achte man bei den mit großen Freiheitsgraden agierenden Töchtern auf den kulturellen Gleichklang: „Wenn die Werte und Prinzipien stimmen, funktioniert das Nebeneinander von etablierten Playern und agilen Startups unter demselben Dach.“

https://www.de.endress.com/de


Dieser Beitrag von Gerd Lache ist neben weiteren Interviews und Berichten im Jubiläums-Heft des Wirtschaftsverbandes wvib Schwarzwald AG anlässlich seines 75-jährigen Bestehens nachzulesen.

PDF-Download: http://media.badische-zeitung.de/adserver/2021/Beilage-Wirtschaft-01.pdf

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