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Oliver Reitz

Direktor des Eigenbetriebs Wirtschaft und Stadtmarketing Pforzheim (WSP)

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Die Witzenmann-Chefinnen über Nahbarkeit, Empathie und Purpose

Beim Pforzheimer Traditionsunternehmen Witzenmann gibt es eine Zeitenwende: Zwei Frauen sorgen für Parität in der Geschäftsführung. Wie Irene Krings und Christine Wüst führen, welche Abstriche sie im Privaten machen müssen und warum sie auf Authentizität setzen, verraten die beiden in einem exklusiven Interview.
Das neue Duo bei Witzenmann: Christine Wüst (links) und Irene Krings. Foto: Thomas Meyer, Pforzheimer Zeitung

Archivartikel (13.11.2023)

"Wir müssen auf beiden Seiten das Bewusstsein schaffen, dass das Wissen und die Erfahrung der Babyboomer von unschätzbarem Wert sind, aber auch der frische, mutige Blick der Gen Z ist entscheidend für unsere Zukunft."
Christine Wüst, CHRO Witzenmann

von Tanja Meckler und Katharina Lindt

Noch vor einigen Jahren sah das Gruppenbild der Witzenmann-Geschäftsführung klassisch aus: Männer in dunklen Anzügen. In jüngster Zeit hat sich was getan. Zum ersten Mal in ihrer fast 170-jährigen Geschichte wird die Gruppe von zwei Frauen und zwei Männern geleitet. Neben Philipp Paschen (Chief Digital Officer) und Andreas Kämpfe (Chief Executive Officer) stellen Christine Wüst (Chief Human Resources Officer) und Irene Krings (Chief Financial Officer) die weibliche Seite dieses Teams dar.

Krings ist die jüngste Ergänzung, die seit dem 1. Juli 2023 die Geschäftsführung verstärkt. Zuvor war sie bei Mercedes Benz für die interne Digitalisierung verantwortlich, nun managt sie bei Witzenmann die Finanzen. Krings‘ Entscheidung, zu wechseln, wurde auch durch ihren Wunsch beeinflusst, wieder in einem familiengeführten Unternehmen tätig zu sein. „Hier spüre ich direkt, welche Bedeutung das hat, was ich hier tue. Das hilft mir sicherzustellen, dass ich es gut mache“, sagt sie.

Der Purpose-Gedanke ist hier besser verankert, und ich spüre die Verantwortung, meinen Job gut zu erledigen. Das ist keine Belastung, sondern eine Bestätigung. Was ich tue, hat Bedeutung, und ich muss sicherstellen, dass ich es gut mache.

Irene Krings, CFO Witzenmann

Wüst ist bereits seit Januar 2021 bei Witzenmann an Bord. Ihr Weg führte sie von Blanco zur Deutschen Flugsicherung hin zu Sixt und schließlich nach Pforzheim. Ihre Spezialgebiete: Kultur- und Leadership-Entwicklung sowie Change-Management. Nun ist sie bei Witzenmann für über 4300 Mitarbeiter verantwortlich.

Im Gespräch mit Wirtschaftskraft-Redakteurin Tanja Meckler: Witzenmann-Marketingreferent Jens Kissig (von links), CHRO Christine Wüst und CFO Irene Krings. Foto: Thomas Meyer, Pforzheimer Zeitung

Nahbare Chefinnen

Was auffällt: Beide geben sich nahbar. Sie sind sich ihrer Vorreiterrolle bewusst und wollen auch andere dazu ermutigen, Karrierewege einzuschlagen. In einem metallverarbeitenden Unternehmen wie Witzenmann, das naturgemäß nicht viele Frauen in den Reihen hat, sei Frauenförderung ein Thema. Die gelinge allerdings nicht, indem man ein utopisches Bild hochhalte, sagt Krings. Es gehe um Authentizität. „Wenn mich jemand fragt: ‚Wie machst du das alles?‘, dann sage ich nicht: ‚Wieso, läuft doch alles, du musst nur schauen, dass du Führungskraft wirst, und dann ist alles toll.‘“ Jeder Mensch hätte immer ein Paket zu tragen, in dem leichte und schwere Sachen steckten und dessen müsse man sich bewusst sein, sagt Krings.

Wüst unterscheidet nicht zwischen einem beruflichen und einem privaten Ich. Sie spreche mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern offen über ihr nicht immer ganz einfaches Familienleben – und dass die Vereinbarung mit dem Spitzenjob auch eine Herausforderung ist. Sie ist geschieden, hat eine Tochter und lebt in einer Patchworkfamilie. Nebenbei ist sie auch noch ehrenamtliche Richterin am Landesgericht in Stuttgart. Viermal im Jahr sei sie im Richtersaal, die Termine seien mit viel Vorlauf gut integrierbar in ihren vollen Terminkalender. Manch einer würde sagen: Das ist eine Powerfrau. Doch Wüst gibt zu bedenken: „Es ist nicht immer alles eitel Sonnenschein.“

Schwierige Work-Life-Balance

Darauf verweist auch Krings. Für sie selbst bedeutet Führungsperson zu sein, auch Abstriche im Privaten zu machen. Viel Zeit für Hobbys blieben ihr nicht. Bei den wichtigsten Ereignissen ihrer Kinder sei sie zwar dabei, aber eben nicht bei jedem Adventsbasteln – Gewissensbisse sind programmiert. „Als ich den Job hier angenommen habe, hat meine Tochter gesagt: ‚Ich finde das gar nicht so schlecht, vielleicht nervst du mich dann nachmittags nicht so‘“, ergänzt Krings und muss selbst lachen. Sie ist mit einem Mexikaner verheiratet, hat drei Kinder – und wäre gerne Journalistin oder Diplomatin geworden, wenn ihr Weg sie nicht zur Internationalen BWL geführt hätte.

Wüst wurde dagegen von ihrem ersten Chef inspiriert, Karriere zu machen. Er hätte ihr den Rat gegeben, immer ein nächstes Ziel vor Augen zu haben. „Ich habe keine Elternzeit genommen, das hat mein damaliger Mann übernommen, sprich er ist zu Hause geblieben“, sagt sie. Ein sensibles Thema. Denn die Reaktionen in ihrem Umfeld waren nicht immer ermutigend. „Wenn ich mal bei dm einkaufen war, habe ich schon von anderen Frauen vorwurfsvoll zu hören bekommen: ‚Ja, Mensch du hast ja keine Zeit mit deinem Kind!‘ Das hat mich schon schwer gestresst“, erinnert sie sich. Stattdessen wünscht sie allen Menschen, das durchzuziehen, worauf sie Lust hätten. „Man darf sich nicht beeinflussen lassen.“

Debatte um Homeoffice

Wüst, die im Heidelberger Raum wohnt und eine komplexe Familiensituation hat, sieht Homeoffice als entscheidenden Faktor. Sie pendelt an zwei Tagen in der Woche ins Büro und arbeitet an den anderen drei Tagen von zu Hause aus. „Ich könnte das heute nicht schaffen, wenn ich nicht meine Eltern und die Möglichkeit zum Homeoffice hätte. Es gibt Wochen, in denen ich öfter als geplant in Pforzheim bin, um an wichtigen Veranstaltungen teilzunehmen. Das ist nicht immer einfach, aber ich finde, es in Ordnung zu sagen, dass es auch manchmal schwierig ist.“

Dass die Debatte um das Homeoffice aktuell hochkocht – angetrieben vom streitlustigen Trigema-Chef Wolfgang Grupp – können die beiden Frauen nicht verstehen. Wüst sagt: „Die Auswertungen zeigen, dass die Mitarbeiter von dieser Flexibilität profitieren.“ Sie sind sich einig, dass Homeoffice nicht die Arbeitsmoral mindere, sondern die Motivation der Mitarbeiter eher steigere. Dass nicht alle Beschäftigte diesen Luxus haben, sei ihnen klar. „In der Produktion kann man kein Homeoffice machen, das kriegen wir nicht hin“, sagt Wüst. „Auch Workation im Ausland funktioniert mit der Produktions-Belegschaft natürlich nicht.“ Doch Witzenmann bemühe sich um Flexibilität. Generell hänge aber eine erfolgreiche Umsetzung von Homeoffice von der Unternehmenskultur und dem Führungsstil ab.

Was moderner Führungsstil ist

Apropos Führungsstil. Obwohl die weibliche Spitze von Witzenmann noch relativ neu ist, hat sie bereits jetzt maßgeblich dazu beigetragen, dass ein frischer Wind durch die Führung und Belegschaft weht.

Was macht den Unterschied aus? Die beiden Frauen geben sich bescheiden. Witzenmann habe auch vorher schon viel gemacht. „Das finde ich sehr fortschrittlich für ein mittelständisches Familienunternehmen“, sagt Krings. Gemeint ist ein Leadership-Programm, das vor drei Jahren für die gesamte Gruppe eingeführt wurde. Darin gehe es um Augenhöhe, Meinungsvielfalt, offene Feedback-Kultur, Freiräume und Purpose – ein englischer Begriff für Sinnhaftigkeit. All das gilt auch für das Führungsquartett: „Ich sehe mich eher als Coach und Sparringspartner. Wenn jemand sagt, ‚Entscheide das‘, tue ich das gerne. Ich treffe auch Entscheidungen, aber ich habe nicht den Anspruch, alles zu entscheiden“, sagt Wüst. Generell gehe der Trend weg von der alten hierarchischen Denkweise. „Als Geschäftsführungsteam arbeiten wir gemeinsam daran, und das ist etwas Besonderes. Bei kleineren Angelegenheiten wollen wir nicht immer direkt involviert sein.“

Krings versteht ihre Rolle ebenfalls als Brückenbauerin: „Wir müssen verstehen, warum Menschen unterschiedlich ‚ticken‘, sei es im Finanzbereich oder in Bezug auf kulturelle Unterschiede“, sagt sie. „Mitarbeiter, die auf den ersten Blick herausfordernd wirken, können eine wertvolle Bereicherung sein. Das erfordert aber ein Umdenken und die Fähigkeit, die Dinge aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten.“

Wandel in der Belegschaft

Dieser Perspektivwechsel ist gerade auch im Hinblick auf die Generationskonflikte im Betrieb wichtig. Wie bei vielen Unternehmen gibt es auch bei Witzenmann gerade einen Wandel: Viele Babyboomer werden in den nächsten zehn Jahren in den Ruhestand gehen. Bis dahin prallen unterschiedliche Welten aufeinander. „Einige Babyboomer beharren darauf, dass die Dinge so sein müssen, wie sie es gewohnt sind, basierend auf Wissen, Erfahrung und Lebenserfahrung. Die Gen Z dagegen hinterfragt die etablierten Praktiken und fragt nach dem Zweck und Nutzen hinter den Abläufen“, fasst Wüst zusammen. Dieser Ansatz sei positiv, da er die Menschen zwinge, eigene Methoden zu überdenken. Die Königsdisziplin bestehe darin, auf beiden Seiten das Bewusstsein für die Stärken des anderen zu schaffen. „Wenn wir das verstehen, können wir voneinander lernen und gemeinsam voranschreiten“, sagt Wüst.

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