Zitat Autor
Wirtschaftskraft ist in der Tat ein „Plus“ – ein Mehr an Themen, an Hintergründen und an Aktualität. Mit dieser Plattform wird die wirtschaftliche Kompetenz des Standortes Pforzheim medial begleitet und weit in die Region getragen.

Oliver Reitz

Direktor des Eigenbetriebs Wirtschaft und Stadtmarketing Pforzheim (WSP)

Newsletter Anmeldung

+ monatliche Erscheinung
+ aktuelle Themen und wichtige Termine
+ neue Unternehmensportraits und Unternehmensprofile
Datenverarbeitungshinweis*

Corona beflügelt Genossenschafts-Gründungen – In Baden-Württemberg ist die Rechtsform so beliebt wie sonst nirgends

Baden-Württemberg ist das Land der Genossenschaften. Bei den Neugründungen in 2020 gab’s im Schwarzwald die meisten Aktivitäten. „Auch in der Krise wurden die Stärke und Robustheit des genossenschaftlichen Geschäftsmodells eindrucksvoll unter Beweis gestellt“, ist Roman Glaser überzeugt. Der Präsident des Baden-Württembergischen Genossenschaftsverbandes (bwgv) zieht Bilanz.
Spürt Rückenwind für die Rechtsform eG: Roman Glaser, Präsident des Baden-Württembergischen Genossenschaftsverbandes. ©bwgv

Von Gerd Lache | 01.05.2021

Nahezu 34.000 Menschen in Baden-Württemberg arbeiten für Genossenschaften. In den vergangenen zehn Jahren ist die Zahl der Genossenschaftsmitglieder um rund 500.000 auf mehr als 3,92 Millionen angewachsen. „Das ist mehr als jeder dritte Einwohner“, sagt bwgv-Präsiden Roman Glaser bei der digitalen Jahrespressekonferenz seines Verbandes zu den Waren- und Dienstleistungsgenossenschaften. „In keinem anderen Bundesland ist die Mitgliederdichte so hoch wie im Südwesten.“

Corona kann durchaus „Rückenwind für Genossenschaften“ erzeugen, meint Glaser. Denn „durch die Pandemie und ihre Auswirkungen haben die Menschen sehr viel über die heimische Landwirtschaft gelernt. Unsere Genossenschaften und deren Landwirtinnen und Landwirte spüren seitdem eine breitere Akzeptanz und höhere Wertschätzung für regional erzeugte Produkte“.

Will die neue Landesregierung von Baden-Württemberg beim Werben um Produkte aus dem Südwesten in die Pflicht nehmen: bwgv-Präsident Roman Glaser. ©bwgv

Kooperationen in Form von Genossenschaften bündelten das Angebot landwirtschaftlicher Produkte, stärkten die Marktstellung der heimischen Erzeuger gegenüber Handel und Industrie, entwickelten die gesamte Wertschöpfungskette berücksichtigende Vermarktungsstrategien und ermöglichten so den Erhalt der so wertvollen kleinteiligen Agrarstruktur in Baden-Württemberg. Ergo: „Die Bedeutung der regionalen, genossenschaftlich organisierten Landwirtschaft war selten so sichtbar wie heute“, sagt Glaser

Er erhofft sich durch Corona einen langfristigen positiven Effekt für die heimische Landwirtschaft und deren Genossenschaften. Einhergehen müsse dies mit einer „angemessenen und auskömmlichen Entlohnung für die Landwirte“ sowie mit einer verbesserten Wettbewerbsstellung der Genossenschaften. „Absatzfördernde Maßnahmen müssen gestärkt werden, um neue Käufer-schichten für Produkte aus Baden-Württemberg erreichen zu können“, sagt Glaser und nimmt dabei  die künftige baden-württembergische Landesregierung in den Fokus.

Die Beschäftigten von Füllhorn Karlsruhe haben das Unternehmen in Form einer Genossenschaft übernommen. ©Füllhorn

Neun Genossenschaften sind 2020 in den unterschiedlichsten Feldern gegründet worden:

Mednos eG, Calw:  Seit 1. Juli 2020 betreibt die Genossenschaft Hausarztpraxen  in Calw und in Ostelsheim im Nordschwarzwald. Weitere Standorte in der  Region würden 2021 folgen.

Bürgerenergie Schopfloch eG: Ziel der Gründung war einer Genossenschaft, die für die Ortsteile die Energie so sauber wie möglich erzeugt und diese allen beteiligten Mitgliedern zur Verfügung stellt. „Dieses Ziel ist für Schopfloch inzwischen erreicht“, so die BEG Schopfloch.

Bürgergenossenschaft Neuweiler eG: Projekt „Generationen-Wohn-Park Neuweiler“ mit Tagespflege, Betreutem Wohnen und einer Pflegewohngruppe.

Füllhorn Karlsruhe eG: Als die Beschäftigten Ende 2019 erfuhren, dass „der Laden aus Altersgründen verkauft werden soll, reifte sehr schnell die Idee einer Genossenschaftsgründung.Nach nur knapp drei Monaten lagen ausreichend Eigenkapitalzusagen vor, um den Kauf zu realisieren.Die Genossenschaftsgründung habe unter anderem wegen der Corona-Krise deutlich mehr Zeit in Anspruch genommen. Füllhorn bleibt als Karlsruher „Bio-Instititution“ erhalten. Am 17. Mai 2021 findet die erste Generalversammlung der Genossenschaft statt

Campus Schule-Wirtschaft geG, Rottweil: Das Netzwerk Schule-Wirtschaft ist nach eigenen Angaben eine Institution im Landkreis geworden. Aktuell zähle das Netzwerk mehr als 100 Mitglieder. Unternehmen aus unterschiedlichen Bereichen der Industrie, der Dienstleistung und dem Handwerk seien ebenso dabei, wie Bildungseinrichtungen von der Förderschule bis zur Hochschule, sowie wichtige Institutionen im Bereich der Bildung und Wirtschaft. Aus diesem aktiven ehrenamtlichen Netzwerk habe sich die gemeinnützige Genossenschaft Campus Schule-Wirtschaft entwickelt, um den Herausforderungen der Bildungs- und Wirtschaftsregion Rottweil noch stärker begegnen zu können.

Dorfladen Dettinghofen eG: De Laden soll ein Treffpunkt zum Wohlfühlen für alle werden. Hier könne man nicht nur Einkäufe erledigen und von frischen, saisonalen und regionalen Produkten profitieren, sondern auch im gemütlichen Bistro verweilen, heißt es in der Beschreibung. Seit Mitte September 2020 sei es möglich gewesen, Anteile der Genossenschaft zu zeichnen.

NeuWärme eG, Furtwangen: Dort sollen dieSchule mit Kindergarten, das Rathaus und die Schwarzwaldhalle mit Wärmeenergie versorgt werden.

Xäls eG, Tübingen: Ein Netzwerk zur Erzeugung nachhaltiger, regionaler Lebensmittel. Was in der Region Neckar-Alb erzeugt werden kann, soll auch hier erzeugt, verarbeitet und verkauft werden, heißt es in der Erklärung der Xäls-Genossenschaft. „Die Wertschöpfung geschieht und bleibt vor Ort.“

Mein Dorfladen Rosenberg eG: Eröffnung am 18. November 2020 – wegen Corona ohne feierlichen Eröffnungsempfang. Nach 5 Jahren Vakanz wurde die Nahversorgung in Rosenberg (Ostalbkreis) wieder hergestellt. Auch eine Postfiliale soll eingebunden werden.


Genossenschaften legen 2020 zu

Die Genossenschaften in Baden-Württemberg sind bisher sehr ordentlich durch die Corona-Pandemie gekommen: So haben die Umsätze der 622 (2019: 630) Waren- und Dienstleistungsgenossenschaften im Südwesten im vergangenen Jahr um 2,8 Prozent auf 9,12 Milliarden Euro zugelegt.

„Unsere Mitgliedsunternehmen haben sich mit aller Kraft und viel Krea-tivität gegen die Folgen der Krise gestemmt“, sagt Dr. Roman Glaser, Präsident des Baden-Württembergischen Genossenschaftsverbands (BWGV), bei der digitalen Jahres-Pressekonferenz des Verbands.

Winzer- und Weingärtnergenossenschaften konnten ihre Umsätze in 2020 stabil halten. ©PMCompany

Allerdings falle die Betroffenheit durch Corona je nach Branche und geschäftspolitischer Ausrichtung sehr unterschiedlich aus.

  • Die Umsätze der 21 Obst-, Gemüse- und Gartenbau-Genossenschaften beziehungsweise –Vertriebsgesellschaften haben sich im Jahr 2020 um 10,5 Prozent auf 543 Millionen Euro erhöht.
  • Die 107 Winzer- und Weingärtnergenossenschaften in Baden-Württemberg hielten ihre Umsätze stabil bei 448 Millionen Euro (minus 0,4 Prozent).
  • Molkereien und Milcherzeuger können ebenfalls auf ein solides Jahr zurückschauen: Die Umsätze der sechs genossenschaftlichen milchverarbeitenden Betriebe stiegen 2020 um insgesamt 7,4 Prozent auf 886 Millionen Euro.
  • Einen Umsatzrückgang um 4,6 Prozent auf 419 Millionen Euro hatte die Viehwirtschaft zu verzeichnen. Vor dem Hintergrund des anhaltenden Strukturwandels verringerte sich die Zahl der Mitglieder bei landwirtschaftlichen Genossenschaften um 2.500 auf 95.200.

Die aktuell 781 Unternehmen in der Rechtsform der eG (eingetragene Genossenschaft) verteilen sich dem Verband zufolge auf rund 50 Branchen. 33.850 Menschen (Ware: 13.080; Banken: 20.770) arbeiten für Genossenschaften. Zudem bilden die Genossenschaften 2.256 junge Menschen aus (Ware: 510; Banken: 1.746). (pm/gel)


Der baden-württembergische Genossenschaftsverband hat seinen Hauptsitz in Stuttgart im Geno-Haus. ©bwgv

Die Vorteile der Rechtsform eG

Menschen und Unternehmen gründen Genossenschaften, weil sie so gemeinsame Ziele leichter erreichen, ohne dabei die eigene Selbstständigkeit aufzugeben, beschreibt der Baden-Württembergischen Genossenschaftsverband (bwgv) diese Rechtsform. Gemeinsam könnten in einer Genossenschaft Aufträge bearbeitet werden, die für ein einzelnes Unternehmen zu groß oder zu komplex wären. Die Ziele könnten ganz unterschiedlicher Art sein: wirtschaftlich, sozial, kulturell.

Genossenschaften seien vielfältig und fänden sich in Industrie, in Handel und Handwerk, im Dienstleistungs- und Gesundheitsbereich, im Energiesektor oder als Dorfläden. „Die Rechtsform ist flexibel und einfach zu handhaben“, meint bwgv-Präsident Roman Glaser.

Die eingetragene Genossenschaft (eG) sei allein und ausschließlich verpflichtet, die Interessen ihrer Mitglieder zu fördern. Zu ihrer Gründung seien bereits drei natürliche oder juristische Personen ausreichend. Die eG sei eine demokratische Rechts- und Unternehmensform. Jedes Mitglied habe eine Stimme – unabhängig von der Höhe seiner Kapitalbeteiligung. Strukturelle Veränderungen sind demnach nur mit Dreiviertel-Mehrheiten möglich. Glaser: „Das verleiht der eingetragenen Genossenschaft eine große Stabilität. Sie sichert damit unternehmerische Selbstständigkeit und schließt eine feindliche Übernahme aus.“ (pm/gel)

Organisationsschema einer Genossenschaft. ©Xäls eG

Jetzt Newsletter abonnieren und von vielen Vorteilen profitieren!