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Oliver Reitz

Direktor des Eigenbetriebs Wirtschaft und Stadtmarketing Pforzheim (WSP)

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Sina Trinkwalder: Die Wirtschaft muss anständiger werden!

Wie soll die Arbeitswelt nach der Pandemie aussehen? Was muss sich verändern? Die bekannte Unternehmerin Sina Trinkwalder hat dafür einen glasklaren, radikalen Vorschlag.
Sina Trinkwalder, mehrfach ausgezeichnete Unternehmerin (u.a Bundesverdienstkreuz) und Gründerin von manomama , Foto: Barbara Gandenheimer

Archivartikel 27.04.2021

"Die einzige Aufgabe eines Unternehmen von heute ist die Maximierung der Menschlichkeit nicht die Steigerung monetärer Erträge."
Sina Trinkwalder, Gründerin der ökosozial Textilfirma manomama

von Tanja Meckler

Trinkwalder fordert an den Unternehmensspitzen Menschen, die das Große und Ganze im Blick haben. Ein Unternehmen sollte danach ausgerichtet sein, welchen Wert es für die Gesellschaft haben kann.

Die Wirtschaft muss endlich wieder begreifen, dass sie nur ein klitzekleiner Teil der Gesellschaft ist und nicht als übergeordnete Institution eine Gesellschaft diktiert. Kündigt die Betriebswirtschaftler und stellt Volkswirtschaftler ein! Für mich haben Unternehmen in der Zukunft nur noch eine Existenzberechtigung, wenn sie soziale und ökologische Probleme lösen.

Sina Trinkwalder

In ihrer ökosozialen Textilfirma „manomama“ arbeiten rund 150 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Keiner von ihnen hat einen super polierten Lebenslauf. Und genau das war der Grundgedanke, als Trinkwalder vor elf Jahren, im Alter von 32 Jahren, „manomama“ gründete. Menschen, die auf dem klassischen Arbeitsmarkt als nicht vermittelbar gelten, sollen hier eine Chance bekommen. Die Medien nennen Sina Trinwalder oft eine Sozialunternehmerin. Diesen Titel mag sie aber gar nicht, für sie ist es einfach anständiges Unternehmertum, im Prinzip alter Wein in neuen Schläuchen, denn ihre Textilfirma ist, in dieser Form, einzigartig in Deutschland.

Arbeit ist soziale Teilhabe. Mein Opa hat in einem Sägewerk gearbeitet und da gab es einen, der hat den Hof gefegt und nicht deshalb, weil man das unbedingt gebraucht hat. Es war der Anstand, auch jemanden mit einer geringeren Qualifikation teilhaben zu lassen. Und dieser soziale Gedanke, einen Schwächeren zurückzulassen, der treibt mich an.“

Am Telefon klingt Sina Trinkwalder frisch und voller Elan. Auf die Frage, wie es ihr geht, antwortet sie fröhlich: „Gut. Viel zu tun, mehr Arbeit als sonst. Aber diese Zeiten fordern, glaube ich, von allen viel Organisationstalent. Ich habe keine Zeit, Netflix rauf und runter zu schauen.“

Zukunftsangst kennt die Unternehmerin nicht. Angst sei generell ein schlechter Ratgeber, auch in Krisenzeiten.

Werkhalle von manomama, Foto: Barbara Gandenheimer

„Manomama“ kam bislang auch ohne Kurzarbeit oder sonstige staatliche Fördermittel durch die Coronakrise. Von März bis Juni letzten Jahres stellte das Unternehmen die Produktion quasi über Nacht auf das Nähen von Mund-Nasen-Masken um. Sina Trinkwalder und ihre Mitarbeiter gingen dabei bis an die persönlichen Grenzen und waren nach dieser Zeit erst einmal ausgelaugt. Deshalb nutzten sie den erneuten Lockdown ab November als kreative Schaffenspause, sie sammelten sich und schon bald werden neue Kollektionen an den Start gehen. In den vergangenen Jahren haben sich Sina Trinkwalder und ihre Mitarbeiter jede Menge Wissen rund um das Thema Nähen angeeignet und sich auch vieles selbst beigebracht. „Manomama“ produziert quasi alles, was man mit einer Nähmaschine so herstellen kann. Über Taschen für EDEKA Südwest und dm, bis hin zu einer Streatwear-Kollektion. Hergestellt wird mitten in Augsburg, der traditionsreichen Textilstadt. Nachhaltigkeit und Transparenz haben dabei Priorität. „Manomama“ will zeigen, dass eine faire Herstellung in Deutschland zu konkurrenzfähigen Preisen möglich ist. Sina Trinkwalder hat den nötigen Starrsinn aus einem „geht nicht“, ein „geht doch“ zu machen.

Wir brauchen eine Leistungsgesellschaft.

In der Welt, wie sie sich sie vorstellt, darf es Menschen unterschiedlich gut gehen. Von sozialistischen Strukturen hält sie wenig. Sie schätzt das Wort Leistungsgesellschaft.

Der Ausdruck Leistungsgesellschaft ist wunderbar, wenn wir einmal die grundlegende Bedeutung dieses Wortes nehmen, dann ist es das was wir auch in Zukunft brauchen. Eine Leistungsgesellschaft ist eine Gruppe von Menschen, die bereit sind, etwas zu leisten. Wenn wir die zukünftigen Probleme, die auf uns zukommen, nehmen, wie die Klimakrise, dann brauchen wir ganz viele Menschen, die bereit sind etwas zu leisten. Auch ein Verzicht ist eine Leistung, auch jemand, der sich im Ehrenamt engagiert, ist Teil der Leistungsgesellschaft. Es wird nur nicht gesehen. Leistung, da passiert etwas, da sind Menschen bereit, etwas zu tun. Das ist großartig.“

Für ihren Sohn hat sie vor einigen Jahren einen Song geschrieben. Der Text trifft den aktuellen Zeitgeist.

Song: Der Anfang von Sina Trinkwalder

Die Rahmenbedingungen für eine bessere Welt schaffen, das ist die große Vision von Sina Trinkwalder und auch die Pandemie kann sie nicht stoppen. Vor kurzem hat sie eine neue Firma gegründet. Es geht darum, neue Wirtschaftswege zu finden und mit intelligenten Lösungen Produktpreise fair zu gestalten. Mehr verrät Trinkwalder aktuell aber nicht.

Die Zukunft des neuen Normal: Nicht mehr, sondern besser!

Die 43-Jährige ist davon überzeugt, dass es nach Corona eine neue Normalität geben wird.

Zurück zum alten Normal wird es nicht geben, aber wir haben die wunderbare Chance auf einen Neuanfang: einen ökologischen, ökonomischen und gesellschaftlichen. Ich glaube, es wird eine Renaissance aus geschärften sozialen Kontakten, bewusster werden im Wahrnehmen von Menschen. Wir werden uns wieder fokussieren auf Wertschätzung, die ist uns nämlich abhanden gekommen. Wir wollten immer mehr und nicht mehr besser, und ich glaube die Zukunft des neuen Normal ist nicht mehr mehr, sondern besser.“

Ihr Motoröl ist Kaffee und ihre Passion ist es, sich für eine bessere Welt einzusetzen. Während andere sich nach Feierabend die Energie auf dem Hometrainer abstrampeln, investiert sie ihre in Ideen. Sina Trinkwalder ist Macherin, Mutter und Buchautorin. Ihr Weg als Unternehmerin unterscheidet sich von vielen anderen. Sie sagt: „Der beste Return-on-investment ist, in Menschen zu investieren.“ Ein Controller der alles wegrationalisieren würde, was nicht hocheffizient ist, würde ihr bei „manomama“ nicht ins Haus kommen.

Unternehmertum gilt heute nur als erfolgreich, wenn der Unternehmer oder die oberen Manager richtig viel Kohle verdienen. Wir setzen Erfolg mit Geld gleich. Wenn Sie ein Unternehmen so führen und so gestalten wie meine Kollegen und ich es machen, dann können Sie nicht Unmengen an Geld scheffeln. Sie schaffen ne schwarze Null und Sie schaffen es ohne jegliche staatliche Fördermittel, aber Sie werden nicht monetär reich damit. Demnach gelten sie im herkömmlichen Sinne auch nicht als erfolgreicher Unternehmer. Wenn man sich aber dafür entscheidet, die volkswirtschaftliche Komponente nach vorne zubringen, also den Wunsch hat, ein wertvoller Unternehmer zu sein, dann geht es. Wenn wir Wirtschaft wieder so betrachten würden, dann wäre es ne andere Geschichte.“

Als Sina Trinkwalder vor elf Jahren ihrem Umfeld von ihrem Plan erzählte, ein ökosoziales Unternehmen gründen zu wollen, indem sie Menschen einstellt, die auf dem klassischen Arbeitsmarkt so gut wie keine Chance bekommen, kassierte sie manchen schiefen Blick. Das soll funktionieren? Menschen von der Straße einstellen? Es funktionierte. Drei Tage lang führte sie über 160 Bewerbungsgespräche, beziehungsweise traf sich mit unterschiedlichen Menschen und ließ sich einfach deren Geschichte erzählen. Schnell stellte sich für sie heraus, das sind keine Looser oder faule Hartz IV Empfänger, sondern viele von ihnen sind in Wirklichkeit wahre Ladies und Gentlemen. Und so nennt Sie ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen bis heute – ein Ausdruck der von tiefem Respekt zeugt. Die Welt von „manomama“ ist bunt und vielfältig. „Wenn Sie Vertrauen schenken, kommt es auch durch Verantwortung zurück.“ Diese Erfahrung machte Sina Trinkwalder in den letzten Jahren immer wieder. So zum Beispiel auch mit einer obdachlosen, schwerst drogenabhängigen Frau. Durch die Arbeit fand die eine Wohnung und ist jetzt nochmal völlig neu ins Leben gestartet. Oder das Beispiel syrischer Flüchtlinge, die in der Werkhalle innerhalb von nur drei Monaten deutsch lernten und inzwischen vollständig integriert sind und so ihren persönlichen Re-Start erlebten.

In den vergangenen Jahren erhielt Sina Trinkwalder viele Auszeichnungen und Preise, darunter auch das Bundesverdienstkreuz. Das freut sie, aber ein aufrichtiges Danke von einer ihrer Ladies, die sagt: „Sina ich habe es wirklich geschafft“, da bekommt die 43-Jährige richtiges Gänsehautfeeling.

Viele Menschen in Deutschland haben ein sehr ungesundes Verhältnis zum Thema Arbeit. Es gibt ganz viele, die Arbeit als Last empfinden, als Bürde, als ‚um Gotteswillen jetzt muss ich da schon wieder hin‘. Die stehen Montag morgen auf und arbeiten schon wieder aufs Wochenende hin. Wenn sie aber meine Ladies und Gentlemen sehen, die teilweise zehn, 15 Jahre ohne Erwerbstätigkeit waren, für die ist Arbeit ein großes Gut. Das ist eine völlig andere Einstellung.“

Klassische Bewerbungsgespräche gibt es bei „manomama“ bis heute nicht. Die Frage „Wo sehen Sie sich in zehn Jahren?“, wird definitiv nicht gestellt werden, da die Unternehmerin selbst nicht weiß, wo sie in zehn Jahren stehen wird. Mit dem Eintritt ins Unternehmen entscheidet jeder selbst, wie viele Wochenstunden er arbeiten möchte. Vor der Pandemie hatte die Werkhalle von „manomama“ von 06.00 – 22.00 Uhr geöffnet. Jeder konnte seinen Arbeitsstart so bestimmen, dass er zur jeweiligen Lebenssituation passt.

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Sina Trinkwalder, Foto: © Barbara Gandenheimer
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