Oliver Reitz
Direktor des Eigenbetriebs Wirtschaft und Stadtmarketing Pforzheim (WSP)
Claudia Keller | 09.04.2025
„Die Region und die Unternehmen brauchen Zukunft und da könnte Medizintechnik ein Weg sein“, so Jochen Protzer, Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung Nordschwarzwald (WFG) bei der Begrüßung im TurmQuartier der Sparkasse Pforzheim Calw. Referent Tilo Stolzke, Geschäftsführer von Sananet, berichtete über die Chancen und Risiken in der Medizintechnik und machte auf die Unterschiede zur Automobilbranche aufmerksam. Der Ingenieur für Medizintechnik hat bereits seit 40 Jahren Erfahrungen in der Branche gesammelt und ist seit 25 Jahren mit seiner Unternehmensberatung im Gesundheitswesen tätig. Zu seinen Kunden gehören Medizintechnikfirmen, Industrieunternehmen und Wirtschaftsförderungen weltweit.
Zunächst legte Stolzke dar, dass das Gesundheitssystem in Deutschland einen Umsatz von fast 500 Milliarden Euro hat. „Das ist ein Riesenmarkt“, betonte er. „Und gerade in Deutschland sind wir es gewohnt, dass Gesundheit nichts kostet. In anderen Ländern, wie USA oder Asien, ist das völlig anders.“ Er zählte auf, dass es in der deutschen Medizinbranche über 250.000 Arbeitsplätze in 1.470 größeren und 12.000 Kleinbetrieben gebe. Als Branchenumsatz nannte er 38,4 Milliarden Euro, zusammen mit den Kleinanbietern sogar 47,3 Milliarden Euro. Die Exportquote liegt bei 67 Prozent.
„Der Mittelstand ist der Treiber der Branche“, stellte Stolzke fest. „Die „Großen“ machen zwar mehr Umsatz, aber die meisten Produkte laufen in den kleinen oder mittelständischen Betrieben.“ Er hob außerdem hervor, dass die Branche besonders resilient gegen Schwankungen sei. Einen Einschnitt habe es zwar während der Corona-Pandemie gegeben, danach sprang aber alles wieder auf das alte Niveau.
„Ein Auto braucht man nicht unbedingt, aber Gesundheit braucht man immer“, erklärte er. Zudem gehöre die Medizintechnik zu den innovativsten Branchen. Beim Blick auf die europäischen Patente gebe es lediglich in Bereich digitale Kommunikation etwas mehr Patente. „Neue Produkte bedeuten immer wieder eine neue Chance, irgendwo in den Markt hineinzugehen“, sagte der Referent. Er empfahl, sich zunächst für einen Bereich der Medizintechnik zu entscheiden. Wichtig sei zu erkennen, welche Bereiche zu den eigenen Kernkompetenzen passen.
Hemmnis als Chance
Eine Hürde zum Einstieg in den Markt sah er durch die veränderte europäische Zulassung. Dadurch müssen derzeit nicht nur neue, sondern auch erprobte Medizinprodukte neu zertifiziert werden. Deshalb gebe es bei den Zertifizierungsstellen derzeit einen Engpass. Zwischenzeitlich wurde die Frist schon zum zweiten Mal verlängert, so dass die neue Zertifizierung bis zum Jahr 2028 erfolgt sein muss.
„Das kann aber auch eine Chance sein, denn Automobilzulieferer haben normalerweise ein ziemlich gutes Qualitätsmanagement“, hob Stolzke hervor. „Das wäre für Sie eine Chance, an kleine Medizintechnikfirmen heranzutreten und denen zu helfen.“
Im Gegensatz zur Automobilbranche sei der Zulieferer der Medizintechnik eher ein Entwicklungspartner und Problemlöser. Zusammen mit dem Auftraggeber werde an einer Lösung für eine Problemstellung gearbeitet. Dabei könne es sich um ein einfaches Teil oder auch eine komplexe Komponente handeln.
Zudem wies er darauf hin, dass in der Medizinbranche auch die Stückzahlen nicht mit dem Automobilbereich vergleichbar seien und oft vergleichsweise geringe Stückzahlen gebraucht werden. Dafür seien allerdings die Margen eher hoch.
Enge Bindung
„In der Medizintechnik gibt es noch sowas wie Loyalität“, sagte Stolzke. „Das macht es aber auch etwas schwierig, denn im Augenblick wäre eine Medizintechnik-Firma loyal zu den heutigen Zulieferern. Aber wenn sie drin sind, ist das ein sicheres Standbein.“ Die Erfahrungen aus dem Automobilbereich seien nicht ein zu eins auf die Medizintechnik-Branche übertragbar. „Das ist einfach ein anderer Markt, auf den müssen sie sich einlassen“, forderte er auf.
Neu für Automobilzulieferer sei es auch, dass in der Medizintechnik keine Anfragen kommen, auf die Angebote erfolgen. Stattdessen müssten sich die Unternehmen aktiv darum kümmern, ein Projekt zu erhalten. „Sie müssen sich klar machen, was sie von den Mitbewerbern unterscheidet und was dem Kunden einen Mehrwert bietet“, sagte Stolzke. Wer langfristig in der Medizintechnik bleiben möchte, werde wahrscheinlich nicht um Zertifizierungen herumkommen, allerdings könnten statt dem ganzen Unternehmen auch nur Teilbereiche zertifiziert werden.
Lösungshelfer gefragt
Im zweiten Teil des Vortrags gab Stolzke einige konkrete Beispiele für Medizintechnikprodukte, um aufzuzeigen, wo die Chancen für Automobilzulieferer liegen. „Wenn Sie Teile für Flugzeugsitze machen können, dann können Sie auch Teile für eine OP-Tisch machen“, stellt er fest. Zu den weiteren Beispielen gehörte unter anderem eine hochwertige Spritze mit eingebauter Mechanik, ein Atemtrainer mit Metallfeder, eine Joystick-Steuerung für einen OP-Roboter oder Implantate aus Metall.
„Am Anfang werden Sie wahrscheinlich mit einem einfachen Produkt anfangen und sich immer weiter zum Medizinprodukt hin entwickeln“, sagte Stolzke. „Je näher Sie am Medizinprodukt sind, umso unvergleichlicher werden Sie und umso höher ist Ihre Marge.“ In der Regel bekomme der Zulieferer eine Idee oder ein Teilproblem auf den Tisch, das gelöst werden muss. Deshalb sei auch medizinische Anwendungswissen gefragt.
„Mein Tipp, versuchen sie in Richtung komplexe Komponente zu gehen, auch wenn es ein langer Prozess ist“, sagte Stolzke. Er legte den Zuhörern ans Herz, „Kaltaquise“ zu betreiben, nach dem Erstkontakt mit den angesprochenen Unternehmen in Kontakt zu bleiben, auch mal nach den Gründen für eine Absage zu fragen und daraus zu lernen. „Das heißt, sie müssen eine Liste von 100 Firmen abarbeiten und haben dann fünf bis zehn Interessenten“, erklärte der Referent. Um sich einen Eindruck der Branche zu verschaffen, empfahl er, auf Fachmessen wie Medica oder Compamed zu gehen.
TraFoNetz unter dem Dach der Wirtschaftsförderung Nordschwarzwald ist ein Netzwerk für Transformation und Innovation, das Unternehmen, Wissenschaft und Gesellschaft zusammen bringt. Ziel ist es, die Region Nordschwarzwald zu einem führenden Standort für innovative Unternehmen und zukunftsfähige Technologien zu machen.
Partner des Transformationsnetzwerks Nordschwarzwald sind unter anderem die Arbeitsagentur Nagold-Pforzheim, die Hochschule Pforzheim, die AgenturQ mit Südwestmetall und IG Metall, die IHK Nordschwarzwald, die Handwerkskammern Karlsruhe und Reutlingen, e-mobil BW, IAB Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung sowie Steinbeis InnoBW, wvib Wirtschaftsverband und weitere.
Claudia Keller | 09.04.2025
„Die Region und die Unternehmen brauchen Zukunft und da könnte Medizintechnik ein Weg sein“, so Jochen Protzer, Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung Nordschwarzwald (WFG) bei der Begrüßung im TurmQuartier der Sparkasse Pforzheim Calw. Referent Tilo Stolzke, Geschäftsführer von Sananet, berichtete über die Chancen und Risiken in der Medizintechnik und machte auf die Unterschiede zur Automobilbranche aufmerksam. Der Ingenieur für Medizintechnik hat bereits seit 40 Jahren Erfahrungen in der Branche gesammelt und ist seit 25 Jahren mit seiner Unternehmensberatung im Gesundheitswesen tätig. Zu seinen Kunden gehören Medizintechnikfirmen, Industrieunternehmen und Wirtschaftsförderungen weltweit.
Zunächst legte Stolzke dar, dass das Gesundheitssystem in Deutschland einen Umsatz von fast 500 Milliarden Euro hat. „Das ist ein Riesenmarkt“, betonte er. „Und gerade in Deutschland sind wir es gewohnt, dass Gesundheit nichts kostet. In anderen Ländern, wie USA oder Asien, ist das völlig anders.“ Er zählte auf, dass es in der deutschen Medizinbranche über 250.000 Arbeitsplätze in 1.470 größeren und 12.000 Kleinbetrieben gebe. Als Branchenumsatz nannte er 38,4 Milliarden Euro, zusammen mit den Kleinanbietern sogar 47,3 Milliarden Euro. Die Exportquote liegt bei 67 Prozent.
„Der Mittelstand ist der Treiber der Branche“, stellte Stolzke fest. „Die „Großen“ machen zwar mehr Umsatz, aber die meisten Produkte laufen in den kleinen oder mittelständischen Betrieben.“ Er hob außerdem hervor, dass die Branche besonders resilient gegen Schwankungen sei. Einen Einschnitt habe es zwar während der Corona-Pandemie gegeben, danach sprang aber alles wieder auf das alte Niveau.
„Ein Auto braucht man nicht unbedingt, aber Gesundheit braucht man immer“, erklärte er. Zudem gehöre die Medizintechnik zu den innovativsten Branchen. Beim Blick auf die europäischen Patente gebe es lediglich in Bereich digitale Kommunikation etwas mehr Patente. „Neue Produkte bedeuten immer wieder eine neue Chance, irgendwo in den Markt hineinzugehen“, sagte der Referent. Er empfahl, sich zunächst für einen Bereich der Medizintechnik zu entscheiden. Wichtig sei zu erkennen, welche Bereiche zu den eigenen Kernkompetenzen passen.
Hemmnis als Chance
Eine Hürde zum Einstieg in den Markt sah er durch die veränderte europäische Zulassung. Dadurch müssen derzeit nicht nur neue, sondern auch erprobte Medizinprodukte neu zertifiziert werden. Deshalb gebe es bei den Zertifizierungsstellen derzeit einen Engpass. Zwischenzeitlich wurde die Frist schon zum zweiten Mal verlängert, so dass die neue Zertifizierung bis zum Jahr 2028 erfolgt sein muss.
„Das kann aber auch eine Chance sein, denn Automobilzulieferer haben normalerweise ein ziemlich gutes Qualitätsmanagement“, hob Stolzke hervor. „Das wäre für Sie eine Chance, an kleine Medizintechnikfirmen heranzutreten und denen zu helfen.“
Im Gegensatz zur Automobilbranche sei der Zulieferer der Medizintechnik eher ein Entwicklungspartner und Problemlöser. Zusammen mit dem Auftraggeber werde an einer Lösung für eine Problemstellung gearbeitet. Dabei könne es sich um ein einfaches Teil oder auch eine komplexe Komponente handeln.
Zudem wies er darauf hin, dass in der Medizinbranche auch die Stückzahlen nicht mit dem Automobilbereich vergleichbar seien und oft vergleichsweise geringe Stückzahlen gebraucht werden. Dafür seien allerdings die Margen eher hoch.
Enge Bindung
„In der Medizintechnik gibt es noch sowas wie Loyalität“, sagte Stolzke. „Das macht es aber auch etwas schwierig, denn im Augenblick wäre eine Medizintechnik-Firma loyal zu den heutigen Zulieferern. Aber wenn sie drin sind, ist das ein sicheres Standbein.“ Die Erfahrungen aus dem Automobilbereich seien nicht ein zu eins auf die Medizintechnik-Branche übertragbar. „Das ist einfach ein anderer Markt, auf den müssen sie sich einlassen“, forderte er auf.
Neu für Automobilzulieferer sei es auch, dass in der Medizintechnik keine Anfragen kommen, auf die Angebote erfolgen. Stattdessen müssten sich die Unternehmen aktiv darum kümmern, ein Projekt zu erhalten. „Sie müssen sich klar machen, was sie von den Mitbewerbern unterscheidet und was dem Kunden einen Mehrwert bietet“, sagte Stolzke. Wer langfristig in der Medizintechnik bleiben möchte, werde wahrscheinlich nicht um Zertifizierungen herumkommen, allerdings könnten statt dem ganzen Unternehmen auch nur Teilbereiche zertifiziert werden.
Lösungshelfer gefragt
Im zweiten Teil des Vortrags gab Stolzke einige konkrete Beispiele für Medizintechnikprodukte, um aufzuzeigen, wo die Chancen für Automobilzulieferer liegen. „Wenn Sie Teile für Flugzeugsitze machen können, dann können Sie auch Teile für eine OP-Tisch machen“, stellt er fest. Zu den weiteren Beispielen gehörte unter anderem eine hochwertige Spritze mit eingebauter Mechanik, ein Atemtrainer mit Metallfeder, eine Joystick-Steuerung für einen OP-Roboter oder Implantate aus Metall.
„Am Anfang werden Sie wahrscheinlich mit einem einfachen Produkt anfangen und sich immer weiter zum Medizinprodukt hin entwickeln“, sagte Stolzke. „Je näher Sie am Medizinprodukt sind, umso unvergleichlicher werden Sie und umso höher ist Ihre Marge.“ In der Regel bekomme der Zulieferer eine Idee oder ein Teilproblem auf den Tisch, das gelöst werden muss. Deshalb sei auch medizinische Anwendungswissen gefragt.
„Mein Tipp, versuchen sie in Richtung komplexe Komponente zu gehen, auch wenn es ein langer Prozess ist“, sagte Stolzke. Er legte den Zuhörern ans Herz, „Kaltaquise“ zu betreiben, nach dem Erstkontakt mit den angesprochenen Unternehmen in Kontakt zu bleiben, auch mal nach den Gründen für eine Absage zu fragen und daraus zu lernen. „Das heißt, sie müssen eine Liste von 100 Firmen abarbeiten und haben dann fünf bis zehn Interessenten“, erklärte der Referent. Um sich einen Eindruck der Branche zu verschaffen, empfahl er, auf Fachmessen wie Medica oder Compamed zu gehen.
TraFoNetz unter dem Dach der Wirtschaftsförderung Nordschwarzwald ist ein Netzwerk für Transformation und Innovation, das Unternehmen, Wissenschaft und Gesellschaft zusammen bringt. Ziel ist es, die Region Nordschwarzwald zu einem führenden Standort für innovative Unternehmen und zukunftsfähige Technologien zu machen.
Partner des Transformationsnetzwerks Nordschwarzwald sind unter anderem die Arbeitsagentur Nagold-Pforzheim, die Hochschule Pforzheim, die AgenturQ mit Südwestmetall und IG Metall, die IHK Nordschwarzwald, die Handwerkskammern Karlsruhe und Reutlingen, e-mobil BW, IAB Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung sowie Steinbeis InnoBW, wvib Wirtschaftsverband und weitere.
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