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Oliver Reitz

Direktor des Eigenbetriebs Wirtschaft und Stadtmarketing Pforzheim (WSP)

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KI aus Leonberg macht Rutronik-Warenwirtschaft smart

Rutronik-COO Fabian Plentz und collective mind-Geschäftsführer Armin Bär über ihre strategische Partnerschaft, erste gemeinsame Erfolge und Chancen im globalen KI-Wettbewerb.
Im Oktober 2024 besiegelten sie die 30-Prozent-Beteiligung von Rutronik am KI-Spezialisten (v.l.n.r.): Fabian Plentz, COO Rutronik, Armin Bär, Geschäftsführer collective mind, Thomas Rudel, CEO Rutronik, Joshua Raabe und Artur Hefner, beide Geschäftsführer bei collective mind. Foto: Rutronik

30.01.2025

Im Herbst 2024 wurde die Beteiligung von Rutronik, dem größten deutschen Distributor für elektronische Komponenten, an der Leonberger KI-Schmiede collective mind besiegelt. Erstes gemeinsames Projekt: das KI-gestützte Erfassen und Verarbeiten von Lieferscheinen und Produktetiketten im Wareneingang von Rutronik. WirtschaftsKRAFT hat nachgefragt, wie es zur Partnerschaft kam, welche Erfolge schon sichtbar sind und was die Zukunft bringen wird.

Fabian Plentz, Chief Operations Officer beim Elektronik-Großhändler Rutronik, sieht in KI enormes Potenzial bei der Prozessoptimierung. Foto: Rutronik

WirtschaftsKraft: Herr Plentz, seit wann ist das Thema Künstliche Intelligenz auf Ihrer Agenda und warum haben Sie sich für eine Beteiligung an collective mind entschieden?

Fabian Plentz: Ich bin bei Rutronik seit Jahren unter anderem für die Digitalisierung unseres Projekt- und Prozessmanagements verantwortlich. In den letzten Jahren hat das Thema KI enorm an Dynamik gewonnen. Die Zeit war einfach reif, konkrete Anwendungsmöglichkeiten zu suchen. Wir wollten keine eigene KI-Unit aufbauen, darum haben wir nach Kandidaten für eine Unternehmensbeteiligung gesucht. Natürlich hätten wir auch einfach jemanden beauftragen können. Aber wir sahen auch die Perspektive, unsere neu gewonnenen Kompetenzen gemeinsam zu vermarkten – also Prozess-Know-how plus Hardware plus KI.

WirtschaftsKraft: Herr Bär, Ihre KI-Lösungen für maschinelles Sehen waren bislang eher auf die industrielle Fertigung ausgerichtet. Warum haben Sie sich für das Handelsunternehmen Rutronik entschieden?

Armin Bär: Entscheidend war für uns die Elektronik-Kompetenz von Rutronik. In der Industrie entwickelt sich das Thema KI vor allem in Richtung „Embedded Solutions“. Das bedeutet, dass KI-Prozesse – in unserem Fall die Verarbeitung von Bildinformationen aus einer Kamera – nicht in der Cloud ablaufen, sondern vor Ort in einem „smarten“ Bauteil. Rutronik hat in Sachen Elektronik hervorragende Kompetenzen und Kontakte. Im Markt gibt es bislang noch keinen Player, der sowohl Hard- als auch Software kann. Hinzu kommt: Rutronik ist wie wir als Familienunternehmen gewachsen. Da war von Anfang an viel Sympathie vorhanden.

WirtschaftsKraft: Rutronik hat zunächst den eigenen Wareneingang ins Visier genommen. Erzählen Sie bitte, worum es hier geht.

Plentz: Bislang werden Wareneingänge an unseren Standorten manuell mit Scannern eingelesen, Lieferscheine müssen zumindest teilweise noch von Hand erfasst werden. Unsere gemeinsam entwickelte kameragestützte KI-Lösung liest und interpretiert Lieferscheine und Etiketten vollautomatisch und übergibt die Daten an das Warenwirtschaftssystem. Und das in allen Formaten und Sprachen. Überlegen Sie: Wir haben im Lager ca. 120.000 Artikel. Jeder Lieferant hat eigene Label-Layouts und eigene Codes, QR, Barcode, sogar teilweise Handschrift! All das kann unsere KI erkennen und verarbeiten, genauso wie weitere Informationen zu Herkunftsland, Chargen und so weiter. Das verbessert die Nachverfolgbarkeit von Warenströmen und Produktmerkmalen enorm.

WirtschaftsKraft: Musste collective mind für Rutronik ganz neue KI-Modelle erstellen und trainieren?

Plentz: Nein, sonst wären wir noch nicht da, wo wir jetzt sind. Am Ende ist es immer dasselbe Prinzip: Sie erfassen mit einer Kamera einen Datensatz, der über Algorithmen interpretiert werden muss. Das Anlernen auf unsere Fälle muss natürlich geleistet werden. Die KI von collective mind ist aber sehr gut darin, schon mit wenig Trainingsaufwand hervorragende Ergebnisse zu liefern.

Armin Bär, Geschäftsführer von collective mind, fordert Unternehmen auf, mutig in Künstliche Intelligenz zu investieren. Foto: collective mind

Bär: Ein einfaches Beispiel: Wenn wir in der Industrie irgendwo einen QR-Code aufbringen, muss dieser auch unter widrigen optischen Bedingungen erkennbar sein. Mit herkömmlichen Scannersystemen kann rund jeder vierte QR-Code nicht gelesen werden. Unsere Algorithmen ermöglichen Leseraten nahe 100 Prozent. Viele Fälle, die bisher nur „von Hand“ gelöst werden konnten, erledigt unsere KI zuverlässig von selbst.

WirtschaftsKraft: Wie ist heute der Stand, ein halbes Jahr nach Start? Gibt es schon greifbare Ergebnisse?

Plentz: Ende Februar zeigen wir unsere Lösung in unserem Logistikzentrum Eisingen erstmals im Live-Betrieb. Die KI läuft im Moment nur an einem Arbeitsplatz, ist aber bereits vollumfänglich an unsere EDV-Systeme angebunden. Ich schätze, im dritten oder vierten Quartal 2025 werden alle Arbeitsplätze im Wareneingang umgestellt. Parallel sind wir bereits daran, gemeinsam mit Lieferanten und Kunden geeignete Anwendungen für künftige Embedded Solutions zu identifizieren. In den vergangenen Monaten hatten wir bereits viele Aha-Erlebnisse in der Art von: Hey, wenn wir dies haben, könnten wir auch jenes machen. Unsere KI kann beispielsweise helfen, Artikelstammdaten kontinuierlich zu verbessern und perspektivisch auch Lagerkapazitäten, Transport- und Zollprozesse zu optimieren.

WirtschaftsKraft: Können Sie beziffern, welche Effizienzgewinne möglich sind?

Plentz: Allein bezogen auf das aktuelle Einsatzgebiet rechnen wir mit drei bis dreieinhalb „Mannjahren“, die wir einsparen können – und da sind noch nicht einmal die Gewinne durch verbesserte Datenqualität und -verfügbarkeit drin! Wenn unsere KI-Lösung für den Wareneingang reif zur Vermarktung ist, gehe ich davon aus, dass potenzielle Kunden die Investitionskosten innerhalb von ein bis zwei Jahren wieder reinholen können. Aber unser Ziel ist gar nicht, dass Mitarbeitende wegrationalisiert werden. Wir wollen sie vielmehr wegholen von eintöniger administrativer Arbeit. Das gibt es in der Logistik riesiges Potenzial.

Bär: Ich war kürzlich bei einem Mittelständer auf der Schwäbischen Alb. Da sagte mir der Geschäftsführer: „Keiner hat Lust auf einen Idiotenjob.“ Es wird Zeit, dass wir die Leute mit unseren Lösungen aus diesen Jobs befreien, das ist unsere Chance.

WirtschaftsKraft: Haben Sie Sorgen, dass Sie die gesamtwirtschaftliche Situation ausbremsen könnte?

Plentz: Die Frage ist, wer hat jetzt den Mut und investiert in Zukunftstechnologie? Da tun wir uns in Deutschland schwer. Technologieoffenheit, Interesse an KI und Maschinentechnik, das brauchen wir in der Politik, in den Unternehmen und in der ganzen Gesellschaft.

Bär: Die Politik muss Rahmenbedingungen schaffen, aber die Industrie muss vorangehen. Für collective mind und Rutronik war klar, wir wollen am Standort Deutschland festhalten. Aber viele Unternehmen hier leben noch von teilweise jahrzehntealter Substanz. Wir brauchen endlich wieder mehr Mut bei den Entscheidungsträgern.

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