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Oliver Reitz

Direktor des Eigenbetriebs Wirtschaft und Stadtmarketing Pforzheim (WSP)

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In der Goldstadt liegen die Nerven blank – Verheerende Corona-Folgen im Zentrum der deutschen Schmuck-Industrie

Im Zentrum der deutschen Schmuckindustrie in der Region Pforzheim/Enzkreis liegen die Nerven blank. Seit dem Einsetzen der Pandemie-Maßnahmen sind die Lieferketten der Hersteller zu ihren Kunden durch die verordneten Ladenschließungen zum Teil komplett durchtrennt.
Die Corona-Pandemie hat der Schmuck- und Uhrenbranche mächtig zugesetzt. ©Plöger/Altmann/Composing_GerdLache

Von Gerd Lache | 18.02.2021

International muss verhindert werden, dass es über die jetzigen Maßnahmen hinaus zu Grenzschließungen kommt, wie zu Beginn der Corona-Pandemie. Dadurch werden Lieferketten zerschnitten und die Industrie längerfristig lahmgelegt.
Uwe Staib, Präsident des Bundesverbandes Schmuck + Uhren, Pforzheim

Das für die Schmuck- und Uhren-Branche so wichtige Weihnachtsgeschäft hat der erneute Lockdown verhagelt – ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, als sich gerade eine Erholung abzeichnen wollte.  Die großen Luxusgüterkonzerne, die ihre Edelprodukte oder Zulieferteile gerne in der Goldstadt und ihrem Umland ordern, wurden ebenfalls von dem Abwärtstrend erfasst. Sie haben in Folge ihre Aufträge vollständig ausgesetzt, teilweise bis heute. Beim Messegeschäft konstatiert die Branche „einen Totalausfall“. Kurzarbeit ist in 2020 in den Unternehmen weiträumig genutzt worden – und noch nicht beendet.

Der Lockdown in Deutschland und der Schweiz von Ende März 2020 an „hatte die Produktion in der Schmuck- und Uhrenindustrie zu großen Teilen komplett gestoppt“, berichtet Guido Grohmann, Hauptgeschäftsführer des Bundesverband Schmuck, Uhren, Silberwaren und verwandte Industrien e.V. (BVSU), Pforzheim. Bei der Vorlage der Wirtschaftszahlen in einer Digital-Pressekonferenz sagte er: „Die Folgen waren für unsere kleinen und mittelständischen Unternehmen verheerend.“

Das Führungsduo des Bundesverbandes Schmuck + Uhren (von links): BVSU-Präsident Uwe Staib und Hauptgeschäftsführer Guido Grohmann. ©GerdLache

Auch die weltweiten Hauptabnehmer seien durch die Pandemie vom Abwärtssog erfasst worden. Beispiel Asien: Chinesische Kunden sind laut Grohmann „als Zielgruppe für die deutsche Schmuck- und Uhrenindustrie sehr wichtig, sind sie doch für rund ein Drittel des Umsatzes im Luxusgütersegment verantwortlich. Je nach Unternehmen und Marke kann der Markt in China und Hong Kong einen hohen zweistelligen Prozentsatz ausmachen.“ Wenn jedoch derzeit in der Region Pforzheim Schmuck und Zulieferteile produziert werden, dann lediglich auf Halde.

Negative Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt

Wie passt das mit den Zahlen des Bundeswirtschaftsministeriums zusammen, das für die bundesdeutsche Industrie von einem leichten Aufwärtstrend berichtet hatte? Anders beispielsweise als bei Automotive oder im Maschinenbau, so Grohmann, sei das für seine Branche „ein völlig falsches Bild, denn der Teil-Lockdown hat die Produktion von Schmuck und Uhren erneut fast zum Erliegen gebracht.“ Das werde langfristig negative Auswirkungen auf die Struktur der Branche und damit auf den Arbeitsmarkt haben. „Das Herunter- und Wiederhochfahren von Produktionsprozessen ist sehr komplex und hat aufgrund der Lieferketten direkten Einfluss auf Unternehmen und Beschäftigte in Deutschland, insbesondere in den Schmuck- und Uhrenzentren wie Pforzheim“, sagt der BVSU-Hauptgeschäftsführer.

Digitalisierung nur bedingt tauglich

Und wie sieht es mit der aktuell viel gepriesenen Digitalisierung in der Schmuckbranche aus? Nur bedingt nutzwertig, wie Grohmann erklärt: Zumindest im hochwertigeren Bereich habe kein Online-Handel und kein Click & Collect auch nur ansatzweise die Ausfälle kompensieren können. „Ist der Fachhandel geschlossen, so findet unser Industriezweig so gut wie keine Abnehmer. Auch Zulieferanten, in unserem Fall zum Beispiel Produzenten von Halbzeugen für Schmuck oder Komponenten für Uhren erhalten keine Aufträge. Die gesamte Lieferkette gerät ins Wanken.“ Ein hochwertiges Schmuckstück oder eine wertige Uhr sei nur schwer übers Internet an den Endverbraucher zu verkaufen. Die Kunden der Juweliere wollten das haptische Erlebnis und die entsprechende Einkaufsatmosphäre. Grohmann: „Noch leben wir nicht in einer Welt, in der ein junges Brautpaar 6000 Euro teure Trauringe beim Online-Händler bestellt.“

Hoffnung auf eine baldige Öffnungserlaubnis gibt es unter anderem auch bei den Inhabern der Schmuck- und Uhrengeschäfte. ©Michoff

Als „seltsam“ umschrieb BVSU-Präsident Uwe Staib seine Kritik an der Corona-Strategie der Politik. Warum, fragt er, dürfe ein Discounter 50 oder 100 Leute in seinen Laden lassen, mit teils fragwürdigen Hygiene-Kontrollen? Und einem Schmuckgeschäft dagegen sei es nicht erlaubt, einen oder zwei Kunden in seinen Räumen zu bedienen. Aber ausgerechnet die Uhren- und Schmuck-Branche habe aus der Zeit von Sars umfangreiche Erfahrungen mit Hygiene-Maßnahmen und könnte alle Bedingungen für eine Öffnung sogar übererfüllen.

Einzelhändler sprechen von Wettbewerbsverzerrung

Ins gleiche kritische Horn stießen kürzlich Freiburger Einzelhändler bei einer Digital-Konferenz der Industrie- und Handelskammer (IHK) südlicher Oberrhein. Da war sogar die Rede von eklatanter Wettbewerbsverzerrung. Zunehmend würden Lebensmittel-Discounter Non-Food-Produkte von Branchen verkaufen, die selbst nicht aktiv sein dürften. Andere von der Laden-Schließung betroffene Unternehmen nutzen offenbar Lücken im Gesetz, sie würden sich eine Fläche beim Lebensmittler mieten und dort ihre Produkte anbieten. Insbesondere der Facheinzelhandel, somit auch Juweliere, sieht sich massiv benachteiligt.

BVSU-Hauptgeschäftsführer Grohmann sprach vom einem „Flickenteppich“ bei den Corona-Verordnungen. Es bestünde die Gefahr, dass einige jener Geschäfte, die jetzt geschlossen hätten, ihre Türen aus finanziellen Gründen nicht mehr öffnen könnten. Er ist sogar sicher: „Es wird Optimierungen geben.“ Dennoch ein Lichtblick: Momentan hofft die Industrie auf eine Normalisierung der Lage für den Herbst 2021.

Entwicklung im Schmuckbereich: Das Statistische Bundesamt weist lediglich Betriebe mit mehr als 50 Beschäftigten aus.

Zahlen der Schmuck- und Uhrenindustrie

Die aktuell zur Verfügung stehenden Zahlen des Statistischen Bundesamtes geben noch nicht der gesamten Berichtszeitraum des BVSU wider, geben aber einen groben Einblick in die Entwicklung der Branche – mit einer Einschränkung: Es werden nur Betriebe ab einer Beschäftigtenzahl von 50 berücksichtigt (siehe Grafiken). Wesentlicher ist die interne Umfrage des BVSU bei seinen rund 150 Mitgliedsbetrieben, von denen knapp 60 Prozent weniger als 20 Mitarbeiter beschäftigen.

Von ihnen berichten demnach 53 Prozent über einen Umsatzrückgang von mehr als 10 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Weitere 13 Prozent liegt der Umsatzrückgang zwischen 5 bis 10 Prozent, bei 7 Prozent der Befragten war der Umsatz gleich gegenüber dem Vorjahr, und weitere 7 Prozent hatten einen Plus von 5 bis 10 Prozent, bei 20 Prozent gab es sogar eine Umsatzsteigerung von 10 Prozent  oder mehr.

Was sind die Gründe für diese Schwankungen? 44 Prozent der Befragten führen den Verlust oder den Zugewinn wichtiger Absatzmärkte an, 19 Prozent die sehr hohen Edelmetallkurse und 37,5 Prozent sehen die Pandemie im Allgemeinen und Probleme beim Versand von Ware als Faktoren.

Bei der Umsatzerwartung für das Jahr 2021 rechnen etwas mehr als 13 Prozent der Kleinbetriebe mit gleichbleibenden Zahlen, aber fast 87 Prozent rechnen mit einem schlechteren Umsatz.

Etwas anders sieht die Auswertung bei den Betrieben über 20 Mitarbeitern aus. Hier vermeldet kein Unternehmen für 2020 einen Umsatzzuwachs von mehr als 10 Prozent. Rund 27 Prozent melden einen Umsatzzuwachs von 5 bis 10 Prozent, bei 36 Prozent blieb es gleich, etwas mehr als 36 Prozent vermelden einen Umsatzrückgang.

Was die Umsatzerwartungen im Jahr 2021 anbelangt, so rechnen die größeren Firmen zu 20 Prozent mit einer günstigeren Entwicklung, 40 Prozent mit einer gleichbleibenden und 40 Prozent mit einer ungünstigeren Tendenz.  pm/gel

Entwicklung im Uhrenbereich: Das Statistische Bundesamt weist lediglich Betriebe mit mehr als 50 Beschäftigten aus.

Zum Thema siehe auch Bericht auf pz-news.de: „Schmuck- und Uhrenindustrie: Schließung der Einzelhandelsgeschäfte belastet Branche massiv

https://www.pz-news.de/wirtschaft_artikel,-Schmuck-und-Uhrenindustrie-Schliessung-der-Einzelhandelsgeschaefte-belastet-Branche-massiv-_arid,1536930.html

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