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Oliver Reitz

Direktor des Eigenbetriebs Wirtschaft und Stadtmarketing Pforzheim (WSP)

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„Get Out“ – Professor Kölmels radikale Prognose für Europas Automobilzulieferer

Die Botschaft war so klar wie schmerzhaft: „Get Out – es gibt kaum eine Zukunft für europäische Automobilzulieferer!“ Mit dieser radikalen Hypothese sorgte Dr. Bernhard Kölmel, Professor an der Hochschule Pforzheim, beim Automobilgipfel „Zukunft.Mobilität 2025“ in Linz/Österreich für Diskussionsstoff.
Holte die Zuhörenden beim Automobilgipfel in Linz/Österreich aus der Komfortzone: Dr. Bernhard Kölmel, Professor an der Hochschule Pforzheim und Vorsitzender des Transformationsbeirats im Transformationsnetzwerk Nordschwarzwald. Fotocomposing:RolandPelzl/GerdLache

Von Gerd Lache | 17.06.2025

Kölmels provokanten Hypothesen zur Transformation der Automotive-Welt zeichneten ein düsteres Bild für die Branche. „Beide Regionen, Oberösterreich und der Nordschwarzwald, sind stark von der Automotive-Industrie geprägt und müssen sich nun der Frage nach ihrer Zukunftsfähigkeit stellen“, sagt Katharina Bilaine, Leiterin des Förderprojekts TraFoNetz unter dem Dach der Wirtschaftsförderung Nordschwarzwald. Kölmel stellte seine Hypothesen in Linz vor mehr als 200 Experten der Automobil- und Zulieferindustrie vor. Als Professor an der Hochschule Pforzheim und als Vorsitzender des Transformationsbeirats im TraFoNetz Nordschwarzwald verfügt er über tiefe Einblicke in die Strukturen und Probleme mittelständischer Zulieferunternehmen.

Podiumsdiskussion mit (von rechts) Professor Bernhard Kölmel (Hochschule Pforzheim/TraFoNetz), Christian Nemeth (Energie AG), Bernhard Brandstätter (A3PS), Markus Manz (Software Competence Center) und Florian Danmayr (Cluster-Manager des Automobil-Clusters bei Business Upper Austria). Foto:RolandPelzl

Organisiert wurde der zweitägige Gipfel vom Automobil-Cluster der oberösterreichischen Standortagentur Business Upper Austria mit Cluster-Manager Florian Danmayr. Die Agentur, die als zentrale Anlaufstelle für Unternehmen und Investoren in Oberösterreich fungiert, hatte mit der „Zukunft.Mobilität 2025“ Österreichs größten Automobil-Branchentreff ins Leben gerufen. In der Raiffeisen Arena in Linz versammelten sich am 11. und 12. Juni 2025 Entscheidungsträger, um über die Zukunft einer Branche zu diskutieren, die sich im radikalsten Wandel ihrer Geschichte befindet.

Kölmels Vortrag basierte auf umfangreichen Erfahrungen aus circa 250 engen Interaktionen mit Unternehmen, sowohl im Südwesten Deutschlands wie auch international. Mit seinen Hypothesen zielte er auf den Nerv der Zeit ab.

Sorgte mit seinen Hypothesen beim Automobilgipfel in Linz für Diskussionsstoff: Professor Dr. Bernhard Kölmel, Vorsitzender des Transformationsbeirats Nordschwarzwald. Foto:RolandPelzl

Träge durch Erfolg: „Die Erfolge der jüngeren Vergangenheit haben die Unternehmen träge und risikoavers gemacht“, provozierte der Transformationsexperte. Lean-Manager dominierten die Unternehmen und verhinderten bahnbrechende Innovationen, weil nur Effizienzorientierung zähle.

Strategietheater statt Innovation: Viele Unternehmen verlören sich in Strategiesitzungen mit irrelevanten Themen, während bahnbrechende Paradigmenwechsel verzögert würden. Zukunftsworkshops und Roadmaps seien oft nur „Feigenblätter“ und von der Realität entkoppelt.

Verlust der Kundenorientierung: Durch zu hohe Auslastung und politisch fehlgeleitete Marktprognosen hätten Unternehmen den Kontakt zu ihren Kunden verloren. Der reale Bedarf werde nicht mehr korrekt antizipiert.

„Good-Enough-Technology“ als Todesstoß: Besonders drastisch fiel Kölmels Analyse zur „Good-Enough-Technology“ aus. Fast alle Komponenten von Elektrofahrzeugen seien mittlerweile in der Qualität gerade gut genug für den Markt und sie würden global beschafft. Diese Entwicklung führe mittelfristig zur Dominanz der Plattformökonomie, wobei Produkte erst standardisiert und dann kommoditifiziert würden. Das bedeute: Produkte oder Dienstleistungen unterscheiden sich kaum noch voneinander. Kölmel warnte: „Kommoditifizierte Märkte werden nicht mehr aus Europa bedient.“ Er verwies auf die Entwicklungen in der Solar- und PC-Industrie. Selbst wenn die Transformation der Automotive-Welt erfolgreich verlaufe, würden die Zulieferer nicht davon profitieren. Der Erfolg der europäischen OEMs und der Zulieferer werde vollständig entkoppelt.

Mehr als 200 Entscheider kamen zum größten österreichischen Automotive-Branchentreffen nach Linz. Foto:RolandPelzl

Die Transformation führe zum fast vollständigen Verlust der Marktrelevanz europäischer Zulieferer. Seine Empfehlung war radikal: „Get Out“ – Ausstieg aus dem Automobilbereich und Fokussierung auf Märkte mit hohem Präzisionsbedarf wie Medizintechnik oder Wehrtechnik. „Märkte mit hohem Präzisionsbedarf sind die einzige Zukunft für etablierte europäische Zulieferunternehmen“, erklärte Kölmel. Alle anderen Strategien funktionierten nur kurzfristig und sollten als „Cash-Cow“ betrachtet werden.

Differenzierung als Ausweg

In seiner zehnten Hypothese bot Kölmel jedoch auch einen Lösungsansatz: „Differenzierung durch Innovationskraft ist der einzige relevante Ansatz der Zukunftssicherung.“ Das Festhalten an kommoditifizierten Märkten starte einen Teufelskreis und führe ins „Death Valley“, ins wirtschaftliche Tal des Todes. Seine Bonushypothese richtete sich gegen die Beraterlandschaft: „Verlasse Dich nicht auf Ratschläge, die Du nicht selbst verifiziert hast.“ Die Wissensbasis vieler Ratgeber sei erschreckend schlecht, politisch postulierte Zukunftsratschläge oft nicht wirtschaftlich fundiert.

Trotz der düsteren Prognosen bot Kölmel konstruktive Lösungsansätze. Er präsentierte ein ganzheitliches Vorgehen, das auf iterativen Prozessen basiert: Testen und Lernen, Prototypen und Hypothesen entwickeln, Ideen sammeln und schließlich umsetzen und optimieren.

Neue Wege gehen, auch wenn sie schmerzhaft sind, war ein Fazit von Professor Bernhard Kölmel beim Automobilgipfel in Linz. Foto:RolandPelzl

Reaktionen und Ausblick

Die Reaktionen auf Kölmels Vortrag waren gemischt. Während einige Teilnehmer seine Analyse als zu pessimistisch kritisierten, lobten andere die schonungslose Ehrlichkeit. Die Veranstaltung unterstrich die Bedeutung grenzüberschreitender Diskussionen über die Zukunft der Automobilindustrie. Sowohl Oberösterreich als auch der Nordschwarzwald stehen vor ähnlichen Herausforderungen, die nur durch mutiges Handeln und radikales Umdenken bewältigt werden können. Die in Linz präsentierten Erkenntnisse fließen direkt in die regionale Arbeit des Transformationsnetzwerks Nordschwarzwald ein und unterstreichen die Notwendigkeit, etablierte Denkweisen zu hinterfragen.

Die Botschaft aus Linz: Die Zeit für halbherzige Maßnahmen ist vorbei. Wer in der post-fossilen Mobilitätswelt überleben will, muss bereit sein, alte Gewissheiten über Bord zu werfen und neue Wege zu gehen – auch wenn diese zunächst schmerzhaft erscheinen mögen.

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