Oliver Reitz
Direktor des Eigenbetriebs Wirtschaft und Stadtmarketing Pforzheim (WSP)
Von Gerd Lache | 28.10.2023
Vor rund 100 Gästen aus der gesamten Region Nordschwarzwald machte der bekannte Automobilexperte und Direktor des Center of Automotive Management (CAM) Professor Bratzel aus Bergisch Gladbach deutlich, dass mit herkömmlichen Geschäftsmodellen und Produktionen Schluss ist. „Momentan verändert sich vieles ganz radikal.“
Die Automobilindustrie merke, „dass sie nicht mehr allein in ihrem Universum unterwegs ist“. Tesla und der chinesische Vormarsch mit batteriebetriebenen Elektroautos zeigten den etablierten Herstellern, „dass sie das erste Mal mit Wettbewerbern zu tun haben, die größer und stärker sind als sie selbst“.
Bratzel spricht von einem „kleinen Urknall“, der noch einige Jahre dauern wird. Plötzlich seien technische Raffinessen der fossilen Antriebe weniger bis gar nicht mehr gefragt. In der neuen Autowelt bestimmten Apps und umfassende Software-Steuerungen die elektrobetriebenen rollenden Computer auf vier Rädern namens E-Auto.
Was also tun? Dazu hat die Wirtschaftsförderung Nordschwarzwald (WFG) mit dem vom Bundeswirtschaftsministerium geförderten Projekt „Transformationsnetzwerk Nordschwarzwald“ (TraFoNetz) die größte Gemeinschaftsinitiative der Region um sich geschart. Ihr Ziel formulierte WFG-Geschäftsführer Jochen Protzer so: „Wir ringen um Lösungen bei der Frage nach der Zukunft von Automotive und insbesondere nach der Zukunft allderjenigen, die sich um das Thema Mobilität und Transformation der Wirtschaft insgesamt verschrieben haben“.
Nagolds Oberbürgermeister Jürgen Großmann, Mitglied im TraFoNetz-Beirat, ist zuversichtlich: „Die Transformation findet am Wirtschaftsstandort Nagold tatsächlich schon statt.“ Einige Zuliefer-Firmen seien gut und innovativ unterwegs beim Marsch in die automobile Zukunft. Boysen beispielsweise produziert mit einem 100-Millionen-Euro-Invest im Landkreis Calw Batteriegehäuse für namhafte Autohersteller und sichert damit Arbeitsplätze vor Ort.
In Pforzheim etwa sei die Firma Witzenmann bei der Neujustierung ihres Unternehmens auf E-Mobilität ganz vorne mit dabei, machte TraFoNetz-Projektleiterin Katharina Bilaine deutlich. Ohnehin müsse die Region den Wandel schaffen, denn der Nordschwarzwald gelte einer IW-Consult-Studie zufolge als einer von jenen 40 Hotspots in der Bundesrepublik, an denen ein überproportional hoher Anteil von Automotive-Unternehmen eine vergleichsweise überdurchschnittlich hohe Zahl von branchenspezifischen Mitarbeitenden beschäftige. Und diese Wirtschaftskraft, so Großmann, „müssen wir weiter auf allerhöchstem Niveau halten“.
Dies funktioniert laut Professor Bratzel nur dann, „wenn man neue Kompetenzen und daraus neue Wertschöpfungsketten entwickelt“. Konkret: Das Thema Software und Daten sei unumgänglich und Kooperationsmodelle müssten überarbeitet werden. Auf keinen Fall dürften Paradigmen des Verbrenners auf die Elektromobilität übertragen werden. Der künftige Kundennutzen sei ein anderer, das Auto müsse neu gedacht werden. Das Alte als Referenz herzunehmen, diesen Kardinalfehler hätte seinerzeit das Nokia-Handy in die Bedeutungslosigkeit verbannt, weil der Kundenanspruch des Smartphones nicht erkannt worden sei.
Außerdem: „Wenn sich die Welt sehr stark verändert in Richtung Software, in Richtung Dienstleistung, dann müssen sich auch die Kultur und die Organisationsstrukturen der Unternehmen ein stückweit in Richtung Softwareunternehmen, Digital-Unternehmen ändern.“ Der einstige Branchenprimus Japan mit Toyota an der Spitze gehört Bratzel zufolge momentan zu jenen etablierten Akteuren, „die das Thema noch nicht wirklich gut auf der Agenda haben“. Marktführer Tesla beweise, dass man auch mit Elektroautos Geld verdienen könne.
Und wie müssen sich Beschäftigten für die automobile Zukunft rüsten? In einer Podiumsdiskussion machten Thorsten Würth für Südwestmetall und Daniel Rabe für die IG Metall sowie Martina Lehmann, Chefin der Arbeitsagentur Nagold-Pforzheim, deutlich, dass Weiterbildung und Qualifizierung der Schlüssel für sichere Arbeitsplätze ist. Rabe sieht eine Verpflichtung bei den Unternehmen, eine klare Perspektive aufzuzeigen: „Wenn ein Beschäftigter nicht genau weiß, wohin die Reise geht und nicht genau weiß, wofür er einen Qualifizierung machen soll, dann ist die Motivation entsprechend gering.“
Der Südwestmetall-Vertreter sieht insbesondere die Betriebsräte in der Pflicht, die Mitarbeitenden für Weiterbildung zu sensibilisieren. Eine Herausforderung, die Moderator Hansy Vogt ansprach, sind einerseits Versagensängste, wenn nach Jahrzehnten wieder die Schulbank gedrückt werden muss, andererseits Probleme der Unternehmen in Zeiten des Arbeitskräftemangels, ihre Mitarbeitenden für Qualifizierungen frei zu stellen. Martina Lehmann wies auf spezielle Programme der Arbeitsagentur hin: „Wir setzen sehr stark auf berufsbegleitende Weiterbildungsangebote.“ Weiterbildungen würden teils niederschwellig angeboten. Unternehmen könnten finanzielle Zuschüsse in Anspruch nehmen. Ein erster Schritt sei, sich bei der Arbeitsagentur unverbindlich zu informieren oder über einen Erstkontakt bei TraFoNetz entsprechende Unterstützung anzufordern.
Das Transformationsnetzwerk Nordschwarzwald (TraFoNetz) unter dem Dach der Wirtschaftsförderung Nordschwarzwald ist die größte regionale Gemeinschaftsinitiative zur kostenfreien Unterstützung der Automotive-Unternehmen und ihrer Beschäftigten im Nordschwarzwald. Gefördert wird sie vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. Ziel ist es, die Transformation im Automobilbereich erfolgreich zu meistern und damit den Standort Nordschwarzwald und die Arbeitsplätze zu sichern. TraFoNetz-Partner sind unter anderem die Arbeitsagentur Nagold-Pforzheim, die Hochschule Pforzheim, die AgenturQ mit Südwestmetall und IG Metall, die IHK Nordschwarzwald, die Handwerkskammern Karlsruhe und Reutlingen sowie die Senioren der Wirtschaft.
Von Gerd Lache | 28.10.2023
Vor rund 100 Gästen aus der gesamten Region Nordschwarzwald machte der bekannte Automobilexperte und Direktor des Center of Automotive Management (CAM) Professor Bratzel aus Bergisch Gladbach deutlich, dass mit herkömmlichen Geschäftsmodellen und Produktionen Schluss ist. „Momentan verändert sich vieles ganz radikal.“
Die Automobilindustrie merke, „dass sie nicht mehr allein in ihrem Universum unterwegs ist“. Tesla und der chinesische Vormarsch mit batteriebetriebenen Elektroautos zeigten den etablierten Herstellern, „dass sie das erste Mal mit Wettbewerbern zu tun haben, die größer und stärker sind als sie selbst“.
Bratzel spricht von einem „kleinen Urknall“, der noch einige Jahre dauern wird. Plötzlich seien technische Raffinessen der fossilen Antriebe weniger bis gar nicht mehr gefragt. In der neuen Autowelt bestimmten Apps und umfassende Software-Steuerungen die elektrobetriebenen rollenden Computer auf vier Rädern namens E-Auto.
Was also tun? Dazu hat die Wirtschaftsförderung Nordschwarzwald (WFG) mit dem vom Bundeswirtschaftsministerium geförderten Projekt „Transformationsnetzwerk Nordschwarzwald“ (TraFoNetz) die größte Gemeinschaftsinitiative der Region um sich geschart. Ihr Ziel formulierte WFG-Geschäftsführer Jochen Protzer so: „Wir ringen um Lösungen bei der Frage nach der Zukunft von Automotive und insbesondere nach der Zukunft allderjenigen, die sich um das Thema Mobilität und Transformation der Wirtschaft insgesamt verschrieben haben“.
Nagolds Oberbürgermeister Jürgen Großmann, Mitglied im TraFoNetz-Beirat, ist zuversichtlich: „Die Transformation findet am Wirtschaftsstandort Nagold tatsächlich schon statt.“ Einige Zuliefer-Firmen seien gut und innovativ unterwegs beim Marsch in die automobile Zukunft. Boysen beispielsweise produziert mit einem 100-Millionen-Euro-Invest im Landkreis Calw Batteriegehäuse für namhafte Autohersteller und sichert damit Arbeitsplätze vor Ort.
In Pforzheim etwa sei die Firma Witzenmann bei der Neujustierung ihres Unternehmens auf E-Mobilität ganz vorne mit dabei, machte TraFoNetz-Projektleiterin Katharina Bilaine deutlich. Ohnehin müsse die Region den Wandel schaffen, denn der Nordschwarzwald gelte einer IW-Consult-Studie zufolge als einer von jenen 40 Hotspots in der Bundesrepublik, an denen ein überproportional hoher Anteil von Automotive-Unternehmen eine vergleichsweise überdurchschnittlich hohe Zahl von branchenspezifischen Mitarbeitenden beschäftige. Und diese Wirtschaftskraft, so Großmann, „müssen wir weiter auf allerhöchstem Niveau halten“.
Dies funktioniert laut Professor Bratzel nur dann, „wenn man neue Kompetenzen und daraus neue Wertschöpfungsketten entwickelt“. Konkret: Das Thema Software und Daten sei unumgänglich und Kooperationsmodelle müssten überarbeitet werden. Auf keinen Fall dürften Paradigmen des Verbrenners auf die Elektromobilität übertragen werden. Der künftige Kundennutzen sei ein anderer, das Auto müsse neu gedacht werden. Das Alte als Referenz herzunehmen, diesen Kardinalfehler hätte seinerzeit das Nokia-Handy in die Bedeutungslosigkeit verbannt, weil der Kundenanspruch des Smartphones nicht erkannt worden sei.
Außerdem: „Wenn sich die Welt sehr stark verändert in Richtung Software, in Richtung Dienstleistung, dann müssen sich auch die Kultur und die Organisationsstrukturen der Unternehmen ein stückweit in Richtung Softwareunternehmen, Digital-Unternehmen ändern.“ Der einstige Branchenprimus Japan mit Toyota an der Spitze gehört Bratzel zufolge momentan zu jenen etablierten Akteuren, „die das Thema noch nicht wirklich gut auf der Agenda haben“. Marktführer Tesla beweise, dass man auch mit Elektroautos Geld verdienen könne.
Und wie müssen sich Beschäftigten für die automobile Zukunft rüsten? In einer Podiumsdiskussion machten Thorsten Würth für Südwestmetall und Daniel Rabe für die IG Metall sowie Martina Lehmann, Chefin der Arbeitsagentur Nagold-Pforzheim, deutlich, dass Weiterbildung und Qualifizierung der Schlüssel für sichere Arbeitsplätze ist. Rabe sieht eine Verpflichtung bei den Unternehmen, eine klare Perspektive aufzuzeigen: „Wenn ein Beschäftigter nicht genau weiß, wohin die Reise geht und nicht genau weiß, wofür er einen Qualifizierung machen soll, dann ist die Motivation entsprechend gering.“
Der Südwestmetall-Vertreter sieht insbesondere die Betriebsräte in der Pflicht, die Mitarbeitenden für Weiterbildung zu sensibilisieren. Eine Herausforderung, die Moderator Hansy Vogt ansprach, sind einerseits Versagensängste, wenn nach Jahrzehnten wieder die Schulbank gedrückt werden muss, andererseits Probleme der Unternehmen in Zeiten des Arbeitskräftemangels, ihre Mitarbeitenden für Qualifizierungen frei zu stellen. Martina Lehmann wies auf spezielle Programme der Arbeitsagentur hin: „Wir setzen sehr stark auf berufsbegleitende Weiterbildungsangebote.“ Weiterbildungen würden teils niederschwellig angeboten. Unternehmen könnten finanzielle Zuschüsse in Anspruch nehmen. Ein erster Schritt sei, sich bei der Arbeitsagentur unverbindlich zu informieren oder über einen Erstkontakt bei TraFoNetz entsprechende Unterstützung anzufordern.
Das Transformationsnetzwerk Nordschwarzwald (TraFoNetz) unter dem Dach der Wirtschaftsförderung Nordschwarzwald ist die größte regionale Gemeinschaftsinitiative zur kostenfreien Unterstützung der Automotive-Unternehmen und ihrer Beschäftigten im Nordschwarzwald. Gefördert wird sie vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. Ziel ist es, die Transformation im Automobilbereich erfolgreich zu meistern und damit den Standort Nordschwarzwald und die Arbeitsplätze zu sichern. TraFoNetz-Partner sind unter anderem die Arbeitsagentur Nagold-Pforzheim, die Hochschule Pforzheim, die AgenturQ mit Südwestmetall und IG Metall, die IHK Nordschwarzwald, die Handwerkskammern Karlsruhe und Reutlingen sowie die Senioren der Wirtschaft.
Jetzt Newsletter abonnieren und von vielen Vorteilen profitieren!