Oliver Reitz
Direktor des Eigenbetriebs Wirtschaft und Stadtmarketing Pforzheim (WSP)
11.07.2024
von Katharina Lindt und Tanja Meckler
Ein Stück Stuttgart hängt bei der Wahlpforzheimerin Sandra Volz an der Wand ihres Büros der FCC Karrierefabrik in der Nordstadt: die Innenansicht der schicken Stadtbibliothek vom Stararchitekten Eun Young Yi, die an einen glatten iPod erinnert. Das Bild passt zum restlichen, in Weiß gehaltenen Raum mit stilvollen Designerbüchern, die kuratorisch auf den Regalen ausgestellt sind. Hier arbeitet eine Frau, die weiß, welche Trends die Branche dominieren – und welche davon GründerInnen auf dem Schirm haben sollten.
Volz berät seit vielen Jahren Start-ups in der Gründungsphase – und von denen gibt es in Pforzheim und der Region zahlreiche. Doch die Gründungskultur könnte bundesweit besser sein. Sie brach im vergangenen Jahr um neun Prozent ein. Der Einschnitt sei spürbar gewesen, denn nach der Corona-Krise blieb der Aufschwung aus. Stattdessen: Krieg in der Ukraine, Inflation, Energiekrise und zahlreiche Insolvenzen in der Wirtschaft. Depression statt Wirtschaftswunder.
Es gehe zwar mit Plus drei Prozent wieder zaghaft nach oben, aber: „Wir haben gerade eine Phase des Stillstands“, sagt Volz, deren enormes Netzwerk ihr einen Einblick in die Gründerwelt verschafft. Viele warten ab, zögern. Dabei sei Krise eine optimale Phase, um zu gründen: „Weil man den nächsten Aufschwung mitnimmt“, sagt Volz. Auch etablierte Unternehmen seien gerade zurückhaltend, sparen bei Innovationen und Investitionen. Dabei brauche es auch die Gelder der Wirtschaft – nicht nur des Staates, um das Ökosystem zu fördern.
Schaut man auf das Geschehen im Land, dann schlägt sich Pforzheim ganz tapfer. Laut dem Statistischen Landesamt befindet sich die Goldstadt auf Platz neun, was die Gründungsintensität anbelangt. Auf Platz eins liegt Baden-Baden, gefolgt von Mannheim und Ulm. Gerade Mannheim habe sich gemacht – dank kluger Entscheidungen, meint Volz. „Man merkt immer, wenn das Engagement kommt, wenn Initiativen kommen, wenn Netzwerke kommen, dann preschen die Städte richtig vor. Und ich würde sagen, sie haben nicht so viele Fördergelder wie Berlin. Das heißt, sie machen viel“, sagt Volz.
„Einfach machen“ – das ist ein Mantra, das man in der Start-up-Blase oft hört. Ein ähnliches Wunder wie Mannheim erlebt aktuell Hamburg, das im Deutschlandranking vorne mitspielt. Volz findet diese Entwicklung spannend, wenn abseits der bekannten Hotspots wie Berlin oder München der Gründungsmotor brummt.
Was kann also Pforzheim von diesen Städten lernen? „Kompetenzen bündeln“, schießt es aus der Expertin heraus. „Wir haben brutal viel Kompetenz, aber der Austausch untereinander, die Vernetzung ist nicht so stark. Jeder macht so sein eigenes Angebot.“ Es brauche jemanden, der sich den Hut aufsetzt – am besten aus der Verwaltung. Denn als Unternehmerin seien ihr beim Thema Fördergeld-Akquirierung die Hände gebunden. Dabei gebe es beim Wirtschaftsministerium für die Stadt Pforzheim viel zu holen, sagt sie. Wenn sich AbsolventInnen der Hochschule Pforzheim nach einem Standort für ihre Unternehmung umschauen, müssten sie das Gefühl haben: „Boah, hier kriege ich auch finanzielle Unterstützung. Hier tut sich was in dem Bereich“, sagt Volz.
Um dem Negativ-Trend entgegenzusetzen, wäre ein Gründer-Festival ein Gamechanger. „Start-up-Festivals laufen gerade wie verrückt“, beobachtet Volz. So eine Veranstaltung wünscht sie sich auch für Pforzheim. Die Ideen dazu hat sie bereits im Kopf – „mit Kernfragen zu Social Media, Storytelling, Finanzierung und Förderung“.
Sie könnte sich einen Mix aus regionalen und prominenten überregionalen SpeakerInnen gut vorstellen. Konkrete Namen wären da zum Beispiel die Schmuckdesignerin Jasmina Jovy, der Modeunternehmer Rafy Ahmed von Morotai, Rudi Siegle von wir.kiste.kreis, Isabelle Possehl von der Kreativ-Agentur DMBO und des Start-ups „Botties“ oder Sophia Lindner, die an der Hochschule Pforzheim studierte, dort ihre erste Förderung für innovative Ballettschuhe erhielt und heute aus Karlsruhe agiert. Aber auch namhafte Größen wie Höhle-der-Löwen-Jurorin Tijen Onaran, Amorelie-Gründerin Lea Sophie Cramer, die im Übrigen in Mannheim studiert hat, oder Snocks-Geschäftsführer Johannes Kliesch aus Mannheim, könnte sie sich auf dem Festival vorstellen. Auf einer Skala von 0 bis 10 sieht sie die Realisierung derzeit bei 7,5 Prozent.
Dass solch ein Festival Geld kostet, sei nicht das Problem. Das Problem sei vielmehr, dass es zu viele kostenlose Formate gebe, die nicht in die Tiefe gehen. GründerInnen sowie Interessierte seien nämlich bereit, für ein gutes Programm mit Workshops und Best Practices Geld auszugeben, ist sie überzeugt.
Ins Programm gehört ihrer Ansicht nach auch das Thema Female Founding. Auch wenn mittlerweile sich bei den Geschlechtern etwas getan hat – 44 Prozent der Gründungen gehen auf Frauen zurück, so die neuesten Zahlen des KfW-Gründungsmonitors – Frauen gründen anders, so Volz‘ Erfahrung. Und zwar im Nebenerwerb. Frauen suchten die doppelte und dreifache Absicherung. Generell sei die Nebenerwerbsquote weiter gestiegen, während die Vollgründungen weiter zurückgehen. Wie sie sich diesen Trend erklärt? Zum einen plagten GründerInnen Unsicherheit, Risiko und Ängste. „Zum anderen sind die Arbeitgeber heute etwas offener gegenüber einem 60-Prozent-Vertrag. Es gibt jetzt eher ein Entgegenkommen seitens der Unternehmen, solche Sachen auch anzugehen“, sagt Volz.
Mutiger seien dagegen MigrantInnen, weiß sie aus Erfahrung. Sie gründeten häufiger, es gebe sogar eine paritätische Geschlechterverteilung. „Das ist richtig spannend und ich meine, da hätten wir in Pforzheim Potenzial“, ist Volz überzeugt. Damit wäre das Thema Migration in der Gründung ebenfalls im Programm gesetzt, ebenso wie die Hochschule Pforzheim.
Denn auch dort treibt Volz das Thema aktiv mit voran, so ging erstmals ein Gründungskurs an den Start. Die Resonanz war gut, allerdings war nur eine Teilnehmerin aus der Fakultät Wirtschaft dabei. Hier sieht Volz noch Luft nach oben, denn gerade interdisziplinäre Teams haben ihrer Ansicht nach die größeren Erfolgschancen. Bei vielen Kreativen seien die Themen Businessplan oder Marktforschung nicht auf der Prioritätsliste. „Und das ist fürs Gründen richtig fatal“, sagt Volz.
Sie bleibt also mit ihrem Wissen der Goldstadt verbunden – auch wenn in Mannheim oder Stuttgart mehr geht. Warum? „Ich sehe das Potenzial. Und wenn ich ein Potenzial sehe, dann reizt mich das, wenn es noch nicht richtig ausgeschöpft ist“, sagt sie.
11.07.2024
"Ich sehe das Potenzial. Und wenn ich ein Potenzial sehe, dann reizt mich das, wenn es noch nicht richtig ausgeschöpft ist“
von Katharina Lindt und Tanja Meckler
Ein Stück Stuttgart hängt bei der Wahlpforzheimerin Sandra Volz an der Wand ihres Büros der FCC Karrierefabrik in der Nordstadt: die Innenansicht der schicken Stadtbibliothek vom Stararchitekten Eun Young Yi, die an einen glatten iPod erinnert. Das Bild passt zum restlichen, in Weiß gehaltenen Raum mit stilvollen Designerbüchern, die kuratorisch auf den Regalen ausgestellt sind. Hier arbeitet eine Frau, die weiß, welche Trends die Branche dominieren – und welche davon GründerInnen auf dem Schirm haben sollten.
Volz berät seit vielen Jahren Start-ups in der Gründungsphase – und von denen gibt es in Pforzheim und der Region zahlreiche. Doch die Gründungskultur könnte bundesweit besser sein. Sie brach im vergangenen Jahr um neun Prozent ein. Der Einschnitt sei spürbar gewesen, denn nach der Corona-Krise blieb der Aufschwung aus. Stattdessen: Krieg in der Ukraine, Inflation, Energiekrise und zahlreiche Insolvenzen in der Wirtschaft. Depression statt Wirtschaftswunder.
Es gehe zwar mit Plus drei Prozent wieder zaghaft nach oben, aber: „Wir haben gerade eine Phase des Stillstands“, sagt Volz, deren enormes Netzwerk ihr einen Einblick in die Gründerwelt verschafft. Viele warten ab, zögern. Dabei sei Krise eine optimale Phase, um zu gründen: „Weil man den nächsten Aufschwung mitnimmt“, sagt Volz. Auch etablierte Unternehmen seien gerade zurückhaltend, sparen bei Innovationen und Investitionen. Dabei brauche es auch die Gelder der Wirtschaft – nicht nur des Staates, um das Ökosystem zu fördern.
Schaut man auf das Geschehen im Land, dann schlägt sich Pforzheim ganz tapfer. Laut dem Statistischen Landesamt befindet sich die Goldstadt auf Platz neun, was die Gründungsintensität anbelangt. Auf Platz eins liegt Baden-Baden, gefolgt von Mannheim und Ulm. Gerade Mannheim habe sich gemacht – dank kluger Entscheidungen, meint Volz. „Man merkt immer, wenn das Engagement kommt, wenn Initiativen kommen, wenn Netzwerke kommen, dann preschen die Städte richtig vor. Und ich würde sagen, sie haben nicht so viele Fördergelder wie Berlin. Das heißt, sie machen viel“, sagt Volz.
„Einfach machen“ – das ist ein Mantra, das man in der Start-up-Blase oft hört. Ein ähnliches Wunder wie Mannheim erlebt aktuell Hamburg, das im Deutschlandranking vorne mitspielt. Volz findet diese Entwicklung spannend, wenn abseits der bekannten Hotspots wie Berlin oder München der Gründungsmotor brummt.
Was kann also Pforzheim von diesen Städten lernen? „Kompetenzen bündeln“, schießt es aus der Expertin heraus. „Wir haben brutal viel Kompetenz, aber der Austausch untereinander, die Vernetzung ist nicht so stark. Jeder macht so sein eigenes Angebot.“ Es brauche jemanden, der sich den Hut aufsetzt – am besten aus der Verwaltung. Denn als Unternehmerin seien ihr beim Thema Fördergeld-Akquirierung die Hände gebunden. Dabei gebe es beim Wirtschaftsministerium für die Stadt Pforzheim viel zu holen, sagt sie. Wenn sich AbsolventInnen der Hochschule Pforzheim nach einem Standort für ihre Unternehmung umschauen, müssten sie das Gefühl haben: „Boah, hier kriege ich auch finanzielle Unterstützung. Hier tut sich was in dem Bereich“, sagt Volz.
Um dem Negativ-Trend entgegenzusetzen, wäre ein Gründer-Festival ein Gamechanger. „Start-up-Festivals laufen gerade wie verrückt“, beobachtet Volz. So eine Veranstaltung wünscht sie sich auch für Pforzheim. Die Ideen dazu hat sie bereits im Kopf – „mit Kernfragen zu Social Media, Storytelling, Finanzierung und Förderung“.
Sie könnte sich einen Mix aus regionalen und prominenten überregionalen SpeakerInnen gut vorstellen. Konkrete Namen wären da zum Beispiel die Schmuckdesignerin Jasmina Jovy, der Modeunternehmer Rafy Ahmed von Morotai, Rudi Siegle von wir.kiste.kreis, Isabelle Possehl von der Kreativ-Agentur DMBO und des Start-ups „Botties“ oder Sophia Lindner, die an der Hochschule Pforzheim studierte, dort ihre erste Förderung für innovative Ballettschuhe erhielt und heute aus Karlsruhe agiert. Aber auch namhafte Größen wie Höhle-der-Löwen-Jurorin Tijen Onaran, Amorelie-Gründerin Lea Sophie Cramer, die im Übrigen in Mannheim studiert hat, oder Snocks-Geschäftsführer Johannes Kliesch aus Mannheim, könnte sie sich auf dem Festival vorstellen. Auf einer Skala von 0 bis 10 sieht sie die Realisierung derzeit bei 7,5 Prozent.
Dass solch ein Festival Geld kostet, sei nicht das Problem. Das Problem sei vielmehr, dass es zu viele kostenlose Formate gebe, die nicht in die Tiefe gehen. GründerInnen sowie Interessierte seien nämlich bereit, für ein gutes Programm mit Workshops und Best Practices Geld auszugeben, ist sie überzeugt.
Ins Programm gehört ihrer Ansicht nach auch das Thema Female Founding. Auch wenn mittlerweile sich bei den Geschlechtern etwas getan hat – 44 Prozent der Gründungen gehen auf Frauen zurück, so die neuesten Zahlen des KfW-Gründungsmonitors – Frauen gründen anders, so Volz‘ Erfahrung. Und zwar im Nebenerwerb. Frauen suchten die doppelte und dreifache Absicherung. Generell sei die Nebenerwerbsquote weiter gestiegen, während die Vollgründungen weiter zurückgehen. Wie sie sich diesen Trend erklärt? Zum einen plagten GründerInnen Unsicherheit, Risiko und Ängste. „Zum anderen sind die Arbeitgeber heute etwas offener gegenüber einem 60-Prozent-Vertrag. Es gibt jetzt eher ein Entgegenkommen seitens der Unternehmen, solche Sachen auch anzugehen“, sagt Volz.
Mutiger seien dagegen MigrantInnen, weiß sie aus Erfahrung. Sie gründeten häufiger, es gebe sogar eine paritätische Geschlechterverteilung. „Das ist richtig spannend und ich meine, da hätten wir in Pforzheim Potenzial“, ist Volz überzeugt. Damit wäre das Thema Migration in der Gründung ebenfalls im Programm gesetzt, ebenso wie die Hochschule Pforzheim.
Denn auch dort treibt Volz das Thema aktiv mit voran, so ging erstmals ein Gründungskurs an den Start. Die Resonanz war gut, allerdings war nur eine Teilnehmerin aus der Fakultät Wirtschaft dabei. Hier sieht Volz noch Luft nach oben, denn gerade interdisziplinäre Teams haben ihrer Ansicht nach die größeren Erfolgschancen. Bei vielen Kreativen seien die Themen Businessplan oder Marktforschung nicht auf der Prioritätsliste. „Und das ist fürs Gründen richtig fatal“, sagt Volz.
Sie bleibt also mit ihrem Wissen der Goldstadt verbunden – auch wenn in Mannheim oder Stuttgart mehr geht. Warum? „Ich sehe das Potenzial. Und wenn ich ein Potenzial sehe, dann reizt mich das, wenn es noch nicht richtig ausgeschöpft ist“, sagt sie.
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