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Oliver Reitz

Direktor des Eigenbetriebs Wirtschaft und Stadtmarketing Pforzheim (WSP)

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Das große Interview mit Landrat Bastian Rosenau

Wir haben mit Landrat Bastian Rosenau über die aktuelle Corona Situation gesprochen, aber auch über Änderungen im Mobilitätsverhalten und über Gemeinden in denen bezüglich Digitalisierung vielleicht noch etwas Steinzeit herrscht.
Bastian Rosenau, Landrat © Landratsamt Enzkreis

Sie lieben ihren Beruf, dennoch gab es sicher schon einmal einfachere Zeiten, was sind aktuell ihre Herausforderungen?

"Als Kreisverwaltung sind wir gut aufgestellt. Natürlich passieren manchmal auch Fehler, aber wir sind in einer Krise – wenn alles glatt laufen würde, wäre es keine Krise."
Bastian Rosenau, Landrat

Ganz klar Corona und die derzeit sehr hohen Infektionszahlen. Unser Gesundheitssystem muss dieser Tage einmal mehr an seine Belastungsgrenze gehen, in manchen Bereichen sogar darüber hinaus. Und für mich – wie für eigentlich jeden, der aktuell Verantwortung trägt, sei es in Firmen, im Handel, im Gesundheitssystem oder eben in Öffentlichen Verwaltungen –geht es letztlich darum, die Balance hinzubekommen zwischen der Gesundheit der Menschen und dem Funktionieren unseres Gemeinwesens.

Inwiefern hat Corona den Enzkreis vor Herausforderungen gestellt? Der Krisenmodus hält ja an, wie sehen Sie sich für diese Situation gerüstet? Wie ist die aktuelle Stimmungslage, wie geht es der regionalen Wirtschaft?

Die Hauptherausforderung besteht in der Dauerbelastung für alle Bereiche. Seit März müssen die einen bis zur Erschöpfung arbeiten, während andere gar nicht arbeiten können, obwohl sie es gerne würden. Wir sehen den Spagat zwischen Arbeit bis zur Selbstaufgabe und radikalen Existenznöten.

Wir sind im Enzkreis bislang ganz gut durch die Corona-Krise gekommen. Verglichen mit anderen Regionen in Deutschland oder gar mit anderen Ländern auf der Welt – auch in Europa – haben wir relativ wenige Todesfälle zu beklagen gehabt – bislang. Wenn uns der Massenausbruch bei einem großen Fleisch verarbeitenden Betrieb im Frühjahr erspart geblieben wäre, lägen wir rein zahlenmäßig noch besser.

Als Kreisverwaltung sind wir gut aufgestellt. Natürlich passieren manchmal auch Fehler, aber wir sind in einer Krise – wenn alles glatt laufen würde, wäre es keine Krise. Auch unser regionales Gesundheitssystem hat sehr gut agiert – so gut, dass in den Kliniken in Pforzheim und Mühlacker zeitweilig Patienten aus anderen Kreisen und sogar aus dem Elsass aufgenommen werden konnten.

Das Bild unserer Wirtschaft ist dagegen eher heterogen: Wir haben stark negative Auswirkungen im Handel, der Gastronomie und bei den Freiberuflern, die mit der zweiten Welle vor immensen Herausforderungen stehen. Im Bereich der Produktion gibt es leider einige Betriebe, die tief in der Kurzarbeit stecken, wo die Auftragslage nach wie vor am Boden liegt. Dafür sind häufig ein starker Nachfragerückgang des europäischen Automobilmarktes und zurückhaltende Investitionen des gesamten Marktes schuld. Corona ist hier der vielzitierte Brandbeschleuniger z.B. in der Transformation des Automotive-Sektors. Einige wenige Firmen können aufgrund breiter Absatzstrukturen die Corona-bedingten Ausfälle kompensieren, zum Beispiel durch Belieferung der Medizintechnik-Branche.

Im Bereich der Dienstleistungen sind die Auswirkungen sehr unterschiedlich. Hier kann man sagen, je mehr die Anbieter Einschränkungen im Kontaktbereich haben, desto mehr leiden sie unter Kundenmangel. Ein Beispiel dafür wäre der Messebau. Dienstleister, die im Segment der Digitalisierung unterwegs sind, haben dagegen volle Auftragsbücher. Auch im Handwerk ist es nicht einheitlich: Einige Zünfte haben weniger oder kaum Auswirkungen, andere spüren deutliche Umsatzeinbrüche.

Die Stimmung ist aber durchgängig eher schlecht, da wir eben erst einmal auf unabsehbare Zeit mit den Auswirkungen zu kämpfen haben. Dass staatliche Hilfen sehr schnell auf die Beine gestellt wurden, wird allgemein begrüßt. Dennoch müssen wir sehen, dass die Corona-bedingten Belastungen immer noch on top kommen zu den ohnehin bereits bestehenden Herausforderungen: Mangel an Auszubildenden und Fachkräften, Digitalisierung, Handelszölle und der Brexit beschäftigen uns ja nach wie vor.

Durch Kita und Schulschließungen mussten ja vor allem Frauen viel zusätzlich schultern. Beschäftigt Sie diese Frage der Sorge, um die Gleichberechtigung auch? Haben Sie Lösungsvorschläge?

Als Vater von vier Kindern habe ich zuhause live mitbekommen, wie viel die – zumeist – Frauen tatsächlich leisten mussten. Neben den bereits vielfältigen Alltagsaufgaben kamen Rundumbetreuung, Homeschooling und vieles mehr noch oben drauf. Da wurde Wunderbares geleistet.

Allerdings ist Gleichberechtigung zu vielschichtig, als dass man sie nur auf eine Krise beziehen könnte. Gleichberechtigung war schon vor Corona ein Thema und wird es auch danach bleiben. Daran arbeiten müssen wir jeden Tag, egal ob mit oder ohne das Virus. Vielleicht tritt es durch die aktuelle Situation an der einen oder anderen Stelle noch stärker zu Tage.

Haben Sie Sorge vor einem zweiten Lockdown?

Kleine Korrektur: Wir hatten Einschränkungen im öffentlichen Leben, aber von einem „Lockdown“ in dem Sinn, wie ihn zum Beispiel unsere europäischen Mitbürger in Italien oder Spanien erlebt haben, mit echten Ausgangssperren zum Beispiel, waren und sind wir weit entfernt.

Eine Light-Version haben wir nun bekommen, und ja: Ich mache mir Sorgen, welche Auswirkungen das auf unsere Wirtschaft und Gesellschaft haben wird. Aber ich denke auch, dass Generationen vor uns bewiesen haben, dass wir gemeinsam Krisen meistern können und dass wir das gemeinsam auch wieder schaffen werden. Da bin ich Optimist.

Mobilität ist ein großes Thema. Inwieweit soll der Nahverkehrsplan 2025 für Verbesserungen sorgen?

Kurzum; mehr Qualität und mehr Vernetzung bis hin zu neuen Möglichkeiten der Mobilität. Das Mobilitätsverhalten ändert sich aktuell, dem soll und muss der Nahverkehrsplan Rechnung tragen.

Zwei Beispiele: Wir planen die Einführung eines Enzkreis-Takt-Systems, das auf Umsteigeverknüpfungen an Bus/Bus- oder Bus/Bahn-Knoten abgestimmt ist. Um die intermodale Mobilität besser zu verknüpfen, denken wir an Bike+Ride-Anlagen an zentralen und systemrelevanten Bushaltestellen, zum Beispiel mit automatischen Fahrrad-Parkhäusern. Dazu gehört natürlich und die Ausweitung des Service-Angebots insbesondere auf digitalem Weg, zum Beispiel die Bereitstellung von Linien- und Fahrplaninformationen für Informationsdienste und Apps wie Google Maps oder den DB-Navigator.

Die Digitale Transformation ist in aller Munde, auch der Enzkreis hat hierfür eine Strategie erarbeitet. Was sind die wichtigsten Eckpfeiler?

Digitalisierung darf nicht zum Selbstzweck betrieben werden, sondern soll einen konkreten Nutzen für Privatpersonen und Unternehmen bringen. Wir müssen unsere Dienstleistungen von ihnen her denken, uns an ihrem Bedarf orientieren. Den Bürgerinnen und Bürgern ist es zum Beispiel völlig egal, wer für ihr Anliegen zuständig ist. Wichtig sind deshalb die Zusammenarbeit mit anderen Verwaltungen, die Standardisierung von Abläufen und einheitliche Zugänge. Die Anträge für die Corona-Soforthilfen für Unternehmen haben gezeigt, was digital möglich ist – aber auch, worauf zu achten ist.

Eine entscheidende Frage wird auch sein, wie gut der Enzkreis mit dem Ausbau des Glasfasernetzes vorankommt und bis wann großflächig mit welcher Mbit-Geschwindigkeit zu rechnen ist. In einigen Gemeinden soll ja da – etwas zugespitzt – noch immer Steinzeit herrschen…

Ist der November-Lockdown ein Todesstoß für die Gastronomie und die Veranstaltungsbranche? Wie sehen Sie das?

Das zu vermeiden muss unser aller Ziel sein. Die Verantwortlichen in diesen Bereichen haben teils unter großem Aufwand ausgeklügelte Hygienekonzepte erstellt und dürfen nun nicht die Verlierer sein. Staatliche Zuwendungen müssen deshalb schnell und unbürokratisch gewährt werden.

Was raten Sie den Bürgerinnen und Bürgern hinsichtlich des Weihnachtseinkaufs? Gerade auch im Hinblick auf support your locals?

Ich habe die große Hoffnung, dass die Beschränkungen sich tatsächlich nur auf den November beziehen und Anfang Dezember wieder aufgehoben werden können. Deshalb appelliere ich: Warten Sie ab und lassen Sie uns dann alle lokal einkaufen – aber natürlich mit Abstand und unter Einhaltung der AHA-Regelungen.

Das Interview führte Tanja Meckler

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