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Oliver Reitz

Direktor des Eigenbetriebs Wirtschaft und Stadtmarketing Pforzheim (WSP)

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Aufbruch: Warum Maxime Krämer ihre Schreinerei in Heidelberg schließt

Der Schritt, die Selbständigkeit endgültig an den Haken zu hängen war alles andere als leicht für die 31-Jährige. Doch sie und ihr Partner wünschen sich irgendwann ein zweites Kind. Maxime Krämer hat es am eigenen Leib erfahren, wie es ist, als selbständige Unternehmerin schwanger zu sein. Ein zweites Mal erleben möchte sie das nicht. Das erste Mal war hart genug
Maxime Krämer war sieben Jahre lang selbstständig. Jetzt schließt sie ihre Schreinerei in Heidelberg, weil sie sich vielleicht noch ein zweites Kind vorstellen kann. Foto: Maxime Krämer

13.03.2023

von Tanja Meckler

Ihre Werkstatt in Heidelberg ist fast leer geräumt. Nur von zwei großen Maschinen, der Kreissäge und der Hobelmaschine, kann Maxime Krämer sich nicht trennen. Die hat sich die Schreinermeisterin von ihrem ersten eigenen Geld geleistet. Sie wegzugeben, kommt nicht in Frage.

Sieben Jahre lang war sie selbstständig, erfüllte sich mit der eigenen Schreinerwerkstatt einen großen Traum. Vor kurzem kam die Gewerbeabmeldung per Post reingeflattert, kein einfacher Moment, der auch Tränen gekostet hat. Schon zuvor, als die anderen Maschinen rausgekarrt wurden, hatte sie einen schweren Kloß im Hals.

Im Oktober 2022 berichtete WirtschaftsKraft über Maxime Krämer als Mutmacherin. „Jetzt bin ich eher die Bremse“, meint sie etwas trocken und etwas traurig am Telefon. Die Bremse, die gleichzeitig das Aus für die Schreinerei bedeutet, ist aber eigentlich das System. Denn dieses übersieht schwangere Selbstständige beziehungsweise betrachtet sie als Einzelfall.

In der Region rund um Heidelberg gilt Maxime Krämer vielen als Vorbild, sie tritt auch oft als Keynote-Speakerin auf, am 10. März 2023 war sie zum Beispiel Teil einer Talk-Runde auf der Messe Zukunft Handwerk in München. Das Thema lautete „Chancengleichheit als Chance für das Handwerk.“

Gleichberechtigung hat viele Gesichter, dazu gehört auch, dass es im Jahr 2023 in Sachen Mutterschutz einen Unterschied macht, ob der Status „angestellt“ oder „selbstständig“ heißt. „Während eine angestellte Schreinerin mit Bekanntwerden der Schwangerschaft sofort ein betriebliches Beschäftigungsverbot bei voller Lohnfortzahlung bekommen hätte, habe ich weiter arbeiten müssen, um den Betrieb am Laufen zu halten“, erzählt Maxime Krämer. Die Szene, als sie sechs Wochen vor der Entbindung noch auf dem Boden herumgekrochen ist, um für einen Kunden einen Waschtischunterschrank zu montieren, ist ihr noch sehr präsent vor Augen.

„Das war einfach krass und auch eine Gefahr für mein Baby und mich.“ Und weiter: „Bei uns Selbstständigen wird eine Schwangerschaft gleichgesetzt mit einer Krankheit und das ist einfach falsch. Außerdem muss ich, als Selbstständige, eine Krankentagegeldversicherung abschließen, um überhaupt ein Recht auf diese Leistung zu haben.“

Ihre mittlerweile einjährige Tochter war ein Wunschkind. Maxime Krämer wollte sich gut auf die Schwangerschaft vorbereiten. Frühzeitig suchte sie deshalb Beratungsstellen auf, um herauszufinden was ihr zusteht und wie sie abgesichert ist. Zu hören bekam sie, sie sei ein Einzelfall.

Dass sie kein Einzelfall ist, und es wirklich vielen ähnlich geht, bemerkte Maxime Krämer damals schnell. Über das Internet lernte sie andere Frauen kennen, die sich in einer ähnlichen Situation befinden. Unter #meinewerkstattbleibt postete Tischlermeisterin Johanna Röh auf Instagram ihre eigene Geschichte. Maxime Krämer und sie vernetzten sich und gründeten mit anderen die Initiative „Mutterschutz für alle“. Die Initiative schätzt, dass rund eine halbe Million Frauen in Deutschland von dem Thema „selbstständig und schwanger“ betroffen sind. „Warum Mutterschutz für alle? Weil Schwangerschaft für Selbstständige nicht mehr als Krankheit gewertet werden und der gesetzliche Mutterschutz allen Gebärenden zustehen sollte“, meint Maxime Krämer.

Im September 2022 hat Mitstreiterin Johanna Röh sogar vor dem Petitionsausschuss des Bundestages in Berlin gesprochen. Die Initiative hatte eine Petition gestartet und über 100 000 Unterschriften gesammelt. Das Ziel, die schwangeren selbständigen Frauen sichtbarer zu machen, weil sie vom System nicht gesehen werden.

Gerade ist die Initiative „Mutterschutz für alle“ dabei einen Verein zu gründen, um Betroffene zu unterstützen. Alles wichtige Schritte und Maxime Krämer hat auch die Hoffnung, dass eines Tages der gesetzliche Mutterschutz wirklich für alle greift, aber sie meint auch, dass die Mühlen eben langsam mahlen. Für sie zu langsam. Deshalb hört Maxime Krämer auf. Sie versteht es nicht als persönliches Scheitern, sondern als Versagen des Systems und das möchte sie auch den anderen Frauen laut zurufen, die ihren Betrieb schließen müssen oder sich erst gar nicht trauen in die Selbstständigkeit zu gehen.

„Es ist traurig, aber ich tendiere immer mehr dazu, jungen Frauen zu raten, sich erst selbstständig zu machen, wenn die Kinderplanung durch ist“, sagt Maxime Krämer.

Sie selbst kennt viele Frauen, die sich gegen das zweite Kind entschieden haben, um selbstständig bleiben zu können. Sie hat sich nun gegen die Selbstständigkeit entschieden, weil sich beides aktuell nicht vereinbaren lässt.

Maxime Krämer bewirbt sich gerade auf Stellen in Berufsschulen, das könnte sie sich gut vorstellen und hätte sie Lust zu, denn Arbeiten möchte sie in jedem Fall. Gleichzeitig möchte sie sich die Option auf ein zweites Kind irgendwann aber offen halten.

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