Oliver Reitz
Direktor des Eigenbetriebs Wirtschaft und Stadtmarketing Pforzheim (WSP)
16.09.2024
von Christian Roch
Der freundliche Herr mit Brille, Anzug und Krawatte hat so gar nichts influencer-haftes an sich. Trotzdem wird er im In- und Ausland ständig auf der Straße erkannt: „Sie sind doch der schräge Chef von TikTok“. Nein, Chef ist Rainer Grill nicht, sondern „nur“ Leiter Öffentlichkeitsarbeit beim Ventilatoren-Hersteller Ziehl-Abegg in Künzelsau. Und doch ist er das Gesicht einer der ungewöhnlichsten Social Media-Erfolgsgeschichten Deutschlands. Grill war am 11. September 2024 Hauptredner beim vierten e-commerce.horizon Event, veranstaltet von der MSTAGE GmbH und unterstützt von WirtschaftsKRAFT.
Der quirlige 57-jährige hat es geschafft, seinem Arbeitgeber Ziehl-Abegg weltweite Bekanntheit auf der derzeit angesagtesten Social Media-Plattform zu verschaffen. Der Mittelständler setzt mit Luft-, Antriebs- und Regeltechnik jährlich rund 950 Mio. Euro um. „Wie wir ein langweiliges Provinz-Unternehmen zu einem TikTok-Renner gemacht haben?“ formulierte Grill gleich zum Auftakt die Frage, die wohl alle der rund 50 Teilnehmenden am meisten interessierte. „Indem wir mit einem kleinen Team aus unterschiedlichsten Abteilungen einfach losgelegt haben. Ohne Budget. Ohne Zielvorgaben. Ohne Strategie. Und vor allem: ohne dass uns die Marketingabteilung reinredet.“
Setzt bei TikTok auf Unterhaltung statt auf „Sinn“ oder Produktwerbung: Rainer Grill, PR-Leiter bei Ziehl-Abegg. Foto: © Önder | Die Verönderung
Angefangen hat Rainer Grills TikTok-Begeisterung 2020 mit einigen, wie er zugibt, eher unbeholfenen Clips auf seinem privaten Account. „In kürzester Zeit hatte ich tausende Views. Da dachte ich: Das muss doch auch für meine Firma funktionieren.“ Und wie das funktionierte! Grill und sein Team haben es mit ihren unterhaltsamen und oft selbstironischen Kurzvideos geschafft, auf TikTok über 111.000 Follower und viele interessante Neukontakte für das Künzelsauer Unternehmen zu generieren.
„Strategie? Produktbezug? Können Sie alles vergessen. Suchen Sie keinen Sinn und machen Sie vor allem keine Produktwerbung. Sonst folgen Ihnen nur noch Ihre Mitarbeitenden, Ihre Lieferanten und die Ex-Beschäftigten, die vergessen haben, Sie zu entfolgen“, warnt Grill. „Wir wollen mit unseren Clips Leute erreichen, die sich eigentlich nicht für uns interessieren. Dabei ist es uns ziemlich egal, ob die Umsetzung perfekt oder CI-konform ist oder nicht.“
Zur Verdeutlichung zeigte Rainer Grill einige seiner erfolgreichsten Clips: Eine Tanz-Choreografie mit Santa Claus-Mützen wird millionenfach geklickt. Eine Persiflage nerviger Bürotypen geht durch die Decke. „Humorvolle Anspielungen auf den Arbeitsalltag – das spricht die jungen Fachkräfte an, die wir suchen. Wir haben oft Reaktionen wie: ‚Cooles Video. Braucht Ihr einen Ingenieur, ich hätte Lust. Was macht eure Firma eigentlich so?‘“ Auf solche Kommentare, so Grill, reagiere sein Team sofort und steige in den Dialog ein – auch nach Feierabend und am Wochenende. „Da muss man halt Bock drauf haben.“
Ein willkommener Nebeneffekt des ‚unmöglichen‘ TikTok-Erfolgs ist die hohe mediale Aufmerksamkeit: „Einer unserer Clips hat es in die ZDF heute-show geschafft – wenn auch mit satirischem Kommentar. Danach ist mein WhatsApp explodiert“. Dass Ziehl-Abegg seither als Social Media-Experte gilt, nutzt Rainer Grill mit Vorträgen und eigenen Social Media-Symposien konsequent zur weiteren Bekanntheitssteigerung seiner Firma.
Grills Tipp für Unternehmen, die selbst auf TikTok erfolgreich sein möchten: „Lasst das nicht gönnerhaft die Azubis machen. Nehmt Leute, die das Unternehmen verstehen. Wenn die dann noch Lust haben, kreative Inhalte zu erstellen und konsequent mit den Nutzern zu interagieren, umso besser.“
Lisa Dengler (PFNext) gab Praxistipps für packendes Storytelling auf Instagram & Co. Foto: © Önder | Die Verönderung
Weniger anekdotisch, aber ebenso spannend waren die beiden anderen Impulsvorträge der Veranstaltung, die von Cindy Kroszewski und Melanie Prange (MSTAGE GmbH) erneut mit Liebe zum Detail organisiert war. Zuerst stellten Lisa Dengler und Marc Hofmann, Gründer des Pforzheimer Social Media-Startups PFNext, ihren Instagram-Kanal vor. Dieser möchte die positiven Seiten Pforzheims zeigen und Menschen zusammenzubringen, die das Potenzial der Goldstadt weiterentwickeln wollen. Dengler und Hoffmann gaben den Zuhörenden konkrete Praxistipps für erfolgreiches Storytelling und loyale Online-Communities. Im Anschluss beleuchtete Jörg Wesiak, Head of Consulting beim Digitalisierungs-Experten Netconomy, das Thema Customer Experience (= Kundenerlebnis) aus organisatorischer Sicht. Wesiak zeigte auf, wie im Unternehmen die oft gegenläufigen Anforderungen von Management, IT und Kunden unter einen Hut gebracht werden können.
16.09.2024
von Christian Roch
Der freundliche Herr mit Brille, Anzug und Krawatte hat so gar nichts influencer-haftes an sich. Trotzdem wird er im In- und Ausland ständig auf der Straße erkannt: „Sie sind doch der schräge Chef von TikTok“. Nein, Chef ist Rainer Grill nicht, sondern „nur“ Leiter Öffentlichkeitsarbeit beim Ventilatoren-Hersteller Ziehl-Abegg in Künzelsau. Und doch ist er das Gesicht einer der ungewöhnlichsten Social Media-Erfolgsgeschichten Deutschlands. Grill war am 11. September 2024 Hauptredner beim vierten e-commerce.horizon Event, veranstaltet von der MSTAGE GmbH und unterstützt von WirtschaftsKRAFT.
Der quirlige 57-jährige hat es geschafft, seinem Arbeitgeber Ziehl-Abegg weltweite Bekanntheit auf der derzeit angesagtesten Social Media-Plattform zu verschaffen. Der Mittelständler setzt mit Luft-, Antriebs- und Regeltechnik jährlich rund 950 Mio. Euro um. „Wie wir ein langweiliges Provinz-Unternehmen zu einem TikTok-Renner gemacht haben?“ formulierte Grill gleich zum Auftakt die Frage, die wohl alle der rund 50 Teilnehmenden am meisten interessierte. „Indem wir mit einem kleinen Team aus unterschiedlichsten Abteilungen einfach losgelegt haben. Ohne Budget. Ohne Zielvorgaben. Ohne Strategie. Und vor allem: ohne dass uns die Marketingabteilung reinredet.“
Setzt bei TikTok auf Unterhaltung statt auf „Sinn“ oder Produktwerbung: Rainer Grill, PR-Leiter bei Ziehl-Abegg. Foto: © Önder | Die Verönderung
Angefangen hat Rainer Grills TikTok-Begeisterung 2020 mit einigen, wie er zugibt, eher unbeholfenen Clips auf seinem privaten Account. „In kürzester Zeit hatte ich tausende Views. Da dachte ich: Das muss doch auch für meine Firma funktionieren.“ Und wie das funktionierte! Grill und sein Team haben es mit ihren unterhaltsamen und oft selbstironischen Kurzvideos geschafft, auf TikTok über 111.000 Follower und viele interessante Neukontakte für das Künzelsauer Unternehmen zu generieren.
„Strategie? Produktbezug? Können Sie alles vergessen. Suchen Sie keinen Sinn und machen Sie vor allem keine Produktwerbung. Sonst folgen Ihnen nur noch Ihre Mitarbeitenden, Ihre Lieferanten und die Ex-Beschäftigten, die vergessen haben, Sie zu entfolgen“, warnt Grill. „Wir wollen mit unseren Clips Leute erreichen, die sich eigentlich nicht für uns interessieren. Dabei ist es uns ziemlich egal, ob die Umsetzung perfekt oder CI-konform ist oder nicht.“
Zur Verdeutlichung zeigte Rainer Grill einige seiner erfolgreichsten Clips: Eine Tanz-Choreografie mit Santa Claus-Mützen wird millionenfach geklickt. Eine Persiflage nerviger Bürotypen geht durch die Decke. „Humorvolle Anspielungen auf den Arbeitsalltag – das spricht die jungen Fachkräfte an, die wir suchen. Wir haben oft Reaktionen wie: ‚Cooles Video. Braucht Ihr einen Ingenieur, ich hätte Lust. Was macht eure Firma eigentlich so?‘“ Auf solche Kommentare, so Grill, reagiere sein Team sofort und steige in den Dialog ein – auch nach Feierabend und am Wochenende. „Da muss man halt Bock drauf haben.“
Ein willkommener Nebeneffekt des ‚unmöglichen‘ TikTok-Erfolgs ist die hohe mediale Aufmerksamkeit: „Einer unserer Clips hat es in die ZDF heute-show geschafft – wenn auch mit satirischem Kommentar. Danach ist mein WhatsApp explodiert“. Dass Ziehl-Abegg seither als Social Media-Experte gilt, nutzt Rainer Grill mit Vorträgen und eigenen Social Media-Symposien konsequent zur weiteren Bekanntheitssteigerung seiner Firma.
Grills Tipp für Unternehmen, die selbst auf TikTok erfolgreich sein möchten: „Lasst das nicht gönnerhaft die Azubis machen. Nehmt Leute, die das Unternehmen verstehen. Wenn die dann noch Lust haben, kreative Inhalte zu erstellen und konsequent mit den Nutzern zu interagieren, umso besser.“
Lisa Dengler (PFNext) gab Praxistipps für packendes Storytelling auf Instagram & Co. Foto: © Önder | Die Verönderung
Weniger anekdotisch, aber ebenso spannend waren die beiden anderen Impulsvorträge der Veranstaltung, die von Cindy Kroszewski und Melanie Prange (MSTAGE GmbH) erneut mit Liebe zum Detail organisiert war. Zuerst stellten Lisa Dengler und Marc Hofmann, Gründer des Pforzheimer Social Media-Startups PFNext, ihren Instagram-Kanal vor. Dieser möchte die positiven Seiten Pforzheims zeigen und Menschen zusammenzubringen, die das Potenzial der Goldstadt weiterentwickeln wollen. Dengler und Hoffmann gaben den Zuhörenden konkrete Praxistipps für erfolgreiches Storytelling und loyale Online-Communities. Im Anschluss beleuchtete Jörg Wesiak, Head of Consulting beim Digitalisierungs-Experten Netconomy, das Thema Customer Experience (= Kundenerlebnis) aus organisatorischer Sicht. Wesiak zeigte auf, wie im Unternehmen die oft gegenläufigen Anforderungen von Management, IT und Kunden unter einen Hut gebracht werden können.
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