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Oliver Reitz

Direktor des Eigenbetriebs Wirtschaft und Stadtmarketing Pforzheim (WSP)

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Karriere oder Kinder: Die heimlichen Hürden der Gleichstellung

In einem fesselnden Studium-Generale-Vortrag an der Hochschule Pforzheim präsentierte Diplom-Soziologin Doris Hess die alarmierenden Ergebnisse der Vermächtnisstudie. Diese Studie, ein gemeinschaftliches Projekt von infas, dem WZB und der Zeit Verlagsgruppe, untersucht die Einstellungen und Meinungen von über 4200 Personen im Alter von 23 bis 65 Jahren zu den Themen Familienplanung, Karriere und den damit verbundenen Rollenbildern.
Die Professorinnen Christa Wehner, Frauke Sander und Barbara Burkhardt-Reich (v.l.) haben sich sehr gefreut, dass Doris Hess (2.v.l.) bereits zum zweiten Mal die aktuellen Ergebnisse der Vermächtnisstudie im Studium Generale präsentiert hat. Foto: Cornelia Kamper / Hochschule Pforzheim

13.05.2024

Doris Hess stellte Ergebnisse der Vermächtnisstudie vor

„Das Ziel der Vermächtnisstudie ist es Veränderungen von Einstellungen und Meinungen zu messen […] und für die Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Kindern ist das aktuelle Ergebnis desaströs.“ Mit diesen klaren Worten startete Diplom-Soziologin Doris Hess in ihren Studium Generale Vortrag an der Hochschule Pforzheim.

Für 76% der Befragten habe die Familie weiterhin den wichtigsten Stellenwert im Leben, so Hess – daher sei dieser Bereich auch als Schwerpunkt auserkoren worden. Die Vermächtnisstudie versteht sich dabei als Seismograf gesellschaftlicher Entwicklungen in allen Lebensbereichen und untersucht dabei jeweils drei Dimensionen: Die eigene Einstellung der Befragten zu einem Thema, die Einschätzung gesellschaftlicher Werte und Normen (welche Rolle sollte dieses Thema in der Gesellschaft spielen) sowie einen Zukunftsausblick (was denke ich, wie es in Zukunft aussehen wird). Die Zukunftseinschätzung zum Thema Kinderplanung, die die Soziologin aus der Vermächtnisstudie 2015 mitgebracht hatte, konnte sie nun bestätigen: Die Wichtigkeit eigene Kinder zu haben, sei weiter gesunken. „Interessanterweise sieht man in den Projektionen: der Wert, den wir 2015 für in 8 Jahren abgefragt haben, der liegt gar nicht so weit weg von dem, was man heute will.“, sagt sie.

(Heimliche) Hürden der Gleichstellung

Die Studie bestätigt, dass viele traditionelle Rollen- und Denkmuster noch immer stark ausgeprägt sind und die Einstellungen in Bezug auf Elternzeit und Karriere geschlechterabhängig stark variieren. So nehmen beispielsweise 98% der Frauen eine längere Elternzeit in Anspruch, während nur 44% der Väter diesem Weg folgen – und dann auch nur für kurze Zeit. „Die Antworten erscheinen ehrlicherweise wie aus der Zeit gefallen“, sagte Hess fest und führte fort: Die Hälfte der Befragten sehe eine 12-monatige Elternzeit bei Männern mit negativen Folgen fürs Berufsleben verbunden, bei Frauen hingegen schätzen das nur etwa 30 % so ein. Die Folge: Trotz Fortschritten in der Erwerbstätigkeitsquote von Frauen besteht weiterhin nicht nur ein Pay-, sondern auch ein deutlicher Gender Care Gap. Diese Diskrepanz trat gerade auch während der Pandemie verstärkt ins Bewusstsein der Bevölkerung, da viele Frauen die Doppelbelastung von Beruf und Familienmanagement in besonderem Ausmaß erlebten.

Doris Hess, renommierte Diplom-Soziologin, teilte besorgniserregende Erkenntnisse über deutsche Familienstrukturen, das Berufsleben und Rollenbilder an der Hochschule Pforzheim. Foto: Cornelia Kamper / Hochschule Pforzheim

Immer mehr jüngere Frauen stehen auch dadurch der Frage nach eigenen Kindern durchaus skeptisch gegenüber. Das, was Gesellschaft und Politik forderten, nämlich Vollzeitmutter und Arbeitnehmerin zu sein, komme als Appell nicht bei ihnen an: „Man kann das als Akt der Selbstbestimmung sehen“, erklärte Doris Hess und wies darauf hin, dass man diese Entwicklungen klar als Aufforderung an die Politik verstehen müsse. Ohne die entsprechenden institutionellen Ressourcen und Unterstützungsmaßnahmen, wie zum Beispiel bezahlbare und ausreichende Kinderbetreuung, würden vor allem einkommensschwache Familien weiter in eine Schräglage kommen.

Das Fazit des Abends führt zu besorgten Gesichtern: Für eine echte Gleichberechtigung von Männern und Frauen ist noch einiges zu tun! Doch ein interessanter Ansatz kommt aus dem Publikum: Vielleicht ist gerade die Emanzipation des Mannes, sprich ein verändertes Rollenbild von Vätern, die Lösung?

pm/tm

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