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Oliver Reitz

Direktor des Eigenbetriebs Wirtschaft und Stadtmarketing Pforzheim (WSP)

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Für deutsche Exporteure wird es ungemütlich

Die deutsche Exportwirtschaft steht unter Druck. Nicht nur Pandemie-bedingt sinken die Ausfuhren, wie das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) feststellt. Die Aussichten sind ebenfalls trübe, zeigt die August-Prognose des ifo Instituts. Was sind die Ursachen?
Den deutschen Exporteuren drohen dem Wirtschaftsforschungsinstitut IW zufolge in Zukunft harte Zeiten. ©AndiGraf/GerdLache

Von Gerd Lache | 27.06.2021

Unter den deutschen Exporteuren hat sich die Stimmung dem ifo Institut zufolge merklich verschlechtert. Demnach sind die ifo Exporterwartungen der Industrie im August 2021 auf 16,6 Punkte gefallen, von 23,1 Punkten im Juli. Aber, sagt ifo-Präsident Clemens Fuest: „Insgesamt läuft die deutsche Exportwirtschaft weiterhin sehr gut.“

Einen Dämpfer musste die Elektroindustrie hinnehmen. Auch in der Nahrungsmittelindustrie gaben die Export-Erwartungen deutlich nach. Stagnierende Umsätze für die Möbelindustrie, wo die Euphorie der vergangenen drei Monate verflogen ist. Die Automobilindustrie hingegen erwartet dem ifo zufolge eine größere Dynamik beim Auslandsgeschäft.

Rückgang durch strukturelle Faktoren

Unterdessen mahnen die Wirtschaftsforscher des IW in der jüngsten Veröffentlichung des Instituts: „Nicht nur die Corona-Pandemie macht der deutschen Exportwirtschaft zu schaffen. Deglobalisierungstendenzen, Protektionismus und Krisen wie der Brexit oder die Euro-Schuldenkrise tragen ihren Teil zum Rückgang der Warenausfuhren bei.“

Die Warenausfuhren von Deutschland seien 2020 gegenüber dem Vorjahr um 9,3 Prozent gesunken. Wer viel exportiere, sei abhängiger von ausländischen Märkten. Nicht zuletzt die Corona-Krise hat dies laut IW nachdrücklich gezeigt.

Die deutschen Warenausfuhren nach Italien seien im Zuge der Euro-Schuldenkrise in den Jahren 2012 und 2013 stark zurück gegangen, die Exporte in das Vereinigte Königreich sanken laut IW nach dem Brexit-Referendum 2016.

Auch in anderen wichtigen Absatzmärkten kam es zu Exporteinbrüchen: In Russland vor allem in den Jahren 2014 und in 2015, in der Türkei 2014 und 2018.

„Damit waren im vergangenen Jahrzehnt viele der wichtigsten deutschen Handelspartner gleichzeitig oder nacheinander betroffen, sodass selbst die breite Diversifizierung der Exportziele eine Verlangsamung des deutschen Exportwachstums nicht verhindern konnte“, hieß es dazu.

Die IW-Wirtschaftsforscher nennen neben der Pandemie mehrere strukturelle Faktoren, die zum Druck des deutschen Exportgeschäfts beitragen würden:

1. Deglobalisierungstendenzen: Schon vor der Pandemie gab es Anzeichen für eine verlangsamte Globalisierung. So wuchs der Welthandel zwischen 2012 und 2019 um rund 29 Prozent – und damit etwas langsamer als die Wirtschaftsleistung, die auf 31 Prozent kam.

2. Neuer Protektionismus: Nach der globalen Finanzmarktkrise kam es weltweit zu einem Anstieg der Handelsbarrieren. Das traf auch die deutsche Wirtschaft: Daten von Global Trade Alert zeigen, dass der Saldo aus handelsbeschränkenden und -liberalisierenden Maßnahmen gegenüber deutschen Exporten zwischen 2012 und 2019 von 34 auf 198 stieg. Viele Beschränkungen sind nach wie vor in Kraft. So hat US-Präsident Joe Biden die von seinem Vorgänger Donald Trump eingeführten Aluminium- und Stahlzölle bislang nicht zurückgenommen.

3. Krisen und Unsicherheiten: Seit 2008 treten gravierende Krisen sehr viel häufiger auf als erwartet: die globale Finanzmarktkrise, die Euro-Schuldenkrise, die Russland-Krise nach der Krim-Annexion 2014 und den folgenden Sanktionen, der Brexit, der Trump’sche Protektionismus, die verschärften geopolitischen Rivalitäten mit China und schließlich 2020 die Corona-Krise. Viele dieser Entwicklungen gelten als „schwarze Schwäne“, was bedeute: es seien sehr unwahrscheinliche Ereignisse mit hohem Schadenspotenzial.

Nachteil für Standort und Jobs

Wie sehen die IW-Forscher die Zukunft für deutsche Ausfuhren? Das deutsche Exportmodell werde aller Voraussicht nach auch künftig durch die genannten Unsicherheitsfaktoren unter Druck bleiben. „Das kann gravierende Folgen für den Standort Deutschland haben.“ Der Grund: Bei höheren Handelsbarrieren und anhaltender Unsicherheit gibt es für deutsche Unternehmen große Anreize, ihre Märkte stärker durch eine Produktion vor Ort zu bedienen statt durch Exporte. „Das kann auf Kosten der Beschäftigung hierzulande gehen.“

Insbesondere Deutschlands zweitwichtigster Exportmarkt China setzt laut IW „gezielt Anreize, damit sich deutsche Firmen vermehrt in der Volksrepublik ansiedeln“. So würde das noch zu ratifizierende bilaterale Investitionsabkommen zwischen der EU und China zwar die Bedingungen für Investitionen in China verbessern, aber nicht die für den Export. Desweiteren setze China vermehrt auf eigene Produktstandards, was Exporte aus Europa erschwere. Und nicht zuletzt erhöhe die chinesische Regierung den Druck auf europäische Unternehmen, ihre Geschäftstätigkeit in China weiter auszubauen und die Lieferantenbeziehungen zunehmend zu lokalisieren. Dafür wirbt China auch mit Subventionen, etwa mit günstigen Grundstücken oder Steuervorteilen.

Chinesische Rechnung geht auf

Einer Befragung der Auslandshandelskammer AHK Greater China zufolge wollen 72 Prozent der in China ansässigen deutschen Unternehmen mehr vor Ort investieren, 43 Prozent wollen als Reaktion auf die Abkoppelungstendenzen sogar ihre Forschung in China ansiedeln.

Doch das Land setze mittelfristig stärker auf Selbstversorgung und wolle unabhängiger vom Ausland werden. Die IW-Forscher warnen: „Wenn China ausländische Firmen nicht mehr braucht, könnte es dort zunehmend ungemütlich werden.“


Verwundbare Offenheit

Deutschlands Volkswirtschaft ist seit vielen Jahrzehnten stark exportorientiert. Was lange überaus gut funktionierte, könnte in einer sich verändernden Weltwirtschaft zum Problem werden, heißt es beim Institut der deutschen Wirtschaft (IW).

Auch wenn Deutschland schon seit einigen Jahren nicht mehr den Titel „Exportweltmeister“ führe, die Bundesrepublik setze mehr auf Absatzmärkte im Ausland als die meisten anderen vergleichbaren Volkswirtschaften. Seit 1952 führt Deutschland dem IW zufolge mehr Waren aus als ein.

Wie handelsoffen ein Land sei, zeige die Außenhandelsquote: Gemessen werde sie als Summe aus Exporten und Importen von Waren und Dienstleistungen in Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Für Deutschland betrug der handelsseitige Offenheitsgrad im Jahr 2019 rund 88 Prozent, kaum ein anderes größeres Industrieland komme auf einen solch hohen Wert. Aber: „Ein hoher Offenheitsgrad macht auch verwundbar“, stellen die IW-Forscher fest.  (iw/gel)


Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

… ist ein arbeitgebernahes Wirtschaftsforschungsinstitut. Es wird von Verbänden und Unternehmen der Wirtschaft finanziert und  beschäftigt sich mit Wirtschafts- und Sozialpolitik, dem Bildungssystem und dem Arbeitsmarkt. Hauptsitz ist Köln, Büros  befinden sich in Berlin und Brüssel. (iw/wiki/gel)

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